24 kurze Albträume (German Edition)
Behörde vorenthalten, da die Gefahr besteht, dass es für immer in der Asservatenkammer eingelagert wird. Ich weiß auch nicht, welche Schlüsse sie aus den letzten Eintragungen bezüglich des Körperers gezogen hätten.
Ich habe die Hoffnung aufgegeben, T. lebend wiederzusehen. Vermutlich befindet er sich in demselben erbärmlichen Zustand, in dem er den Jäger F. vorgefunden hat. Ihm müssen die Gefahren seiner Reise bewusst gewesen sein; ansonsten hätte er mir das Notizbuch nicht zugeschickt. Er zählte zu meinem engeren Freundeskreis. Ich wundere mich nur, weshalb er mich nicht gebeten hat, mitzukommen. Wir waren in Indonesien vor fünfzehn Jahren, Abenteuerurlaub mit Rucksack und Zelt. Nächstes Jahr wollten wir nach Chile, in die Anden, nach so langer Zeit. Ich gestehe, ich bin enttäuscht, dass er mich nicht gefragt hat. Was soll ich mit deinem Notizbuch? Wieso schreibst du die Namen der Ortschaften nicht aus? Der Ort V. dürfte leicht zu finden sein, wenn man davon ausgeht, dass er sich im Umkreis des Waldes befindet, in dem der Jäger F. gefunden wurde. Willst du, dass ich dir folge?
(Beginn der Tonaufzeichnung. Zwei Minuten weißes Rauschen.) Test. Test. Gut, scheint zu gehen. Es ist … Freitagabend, der … 18. Juni Neunzehnhundertsechs… (Störgeräusche, Aufnahme hier undeutlich). Es ist später Abend, gegen 23 Uhr, außerhalb des Dorfes V. - T. hat grobe Richtungen skizziert, und Pläne für seine Suche. Ich konnte noch immer keine näheren Informationen zum Körperer zusammenstellen, auch wenn ich erste Anhaltspunkte gefunden habe. Das Notizbuch, das ich an Ts Statt weitergeführt habe, habe ich an einen befreundeten Anthropologen geschickt, der an der Universität doziert. Vielleicht kann er meine Spuren weiter verfolgen und … (Kurzer Abbruch der Aufzeichnung.) … in den Wald. Zum Glück habe ich eine starke Taschenlampe und ein paar Ersatzbatterien. Ich frage mich, wie lange ich suchen muss, bis ich … etwas finde. Wenigstens Ts … Überreste will ich finden.
Der Wald beginnt, mich zu beunruhigen. Ich habe mich beim zuständigen Forstamt erkundigt. Man hat mir dringend abgeraten, abseits der befestigten Wege durch den Wald zu gehen. Die Gefahr, auf einen Keiler zu stoßen, sei zu groß. Eigenartigerweise würde mich die Anwesenheit eines Keilers im Moment beruhigen. Es ist eigenartig still geworden. Als … als würde der Wald mich anschweigen. [Anmerkung: Die Hintergrundkulisse hat sich – meinen tontechnischen Überprüfungen gemäß – nicht merklich verändert. Prof. M.]
Irgendetwas ist hier. Ich habe gerade eine Lichtung betreten und … und in einigen Metern Entfernung reflektieren zwei Augen. Etwa meine Höhe. Ich kann es nicht genau sehen.
Entwarnung. Es handelt sich offenbar nur um einen Hirsch. Wahrscheinlich reagiert er nicht, weil er von meiner Taschenlampe geblendet wird. Ich mache sie aus.
Jetzt senkt der Hirsch den Kopf und … ich kann im Mondlicht kaum etwas erkennen. [Anmerkung: Am 18. Juni war Neumond. Prof. M.] Er … es klingt eigenartig, aber er scheint mir zuzunicken. Ich weiß nicht, warum. Soll ich … soll ich dir folgen?
(Mehrere Minuten lang hört man Schritte durch Laub.) [Anmerkung: Die tontechnische Analyse hat ergeben, dass R. nach einer Minute die Lichtung verließ und wieder den Wald betrat. Von dem Hirsch konnten keinerlei Geräusche aufgenommen werden. Ab und an stieß R. Laute aus, als wenn er plötzlich einen unkontrollierten Luftstoß heraushusten würde. Aufgrund einer Analyse des Nachhalls ist nicht ausgeschlossen, dass R. sich während der sechsundsiebzigsten Minute seiner Aufzeichnungen in unmittelbarer Nähe eines Gebäudes aufhielt, vielleicht
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