24 kurze Albträume (German Edition)
dem Weg stehen und schauten durch das Eisentor in den verschneiten Garten. »Kommt.« Johnny führte sie an der Mauer entlang zu einer kleinen Tür. »Da. Wir können rein. Das Schloss ist offen.« Sophie wagte nicht zu fragen, warum das Schloss offen war. Eigentlich sollte sie gar nicht mit Johnny spielen. »Er ist viel zu alt für dich«, hatte ihre Mutter gemeint. »Was will ein Vierzehnjähriger mit einer Sechsjährigen anfangen?«
Aber Sophie mochte Johnny. Wo Johnny war, war Abenteuer. Neugierig drückte sie sich an Johnny und Dick vorbei in den verwilderten Garten. Sie wollte zu den Schaukeln, aber ihr Bruder war schon unterwegs zu der alten Drehscheibe. »Treib uns an, Johnny! Los!« rief Sophie und kletterte auf das runde Holz. Johnny begann die Scheibe zu drehen. »Mehr! Weiter!«, riefen die beiden Kleinen. Die Scheibe kam ächzend in Schwung und drehte sich dann immer schneller. Sophie wurde ganz eigenartig zumute. »Kannst du langsamer machen? Bitte!« Die Bäume flitzten an Sophie vorbei. »Anhalten! Halte sofort an!«, schrie sie. Sie sah Johnnys Gesicht immer wieder und wieder an sich vorbeisausen. Sophie schloss die Augen und hielt sich nur noch fest. Im nächsten Moment wurden sie und Dick durch die Luft gewirbelt. Die Haltestange war aus dem Holz gerissen. Zum Glück hatte der tiefe Schnee ihren Flug abgefangen. »Spinnst du?« fuhr Sophie Johnny an.
»Die Scheibe hat sich ganz von alleine gedreht. Ich konnte nichts machen.« »Du spinnst doch! Das war nicht komisch! Komm Dick, wir gehen nach Hause.« Sophie nahm ihren Bruder an der Hand und wandte sich der kleinen Tür zu.
»Wartet! Ich habe eine Idee.« Johnny kam hinter ihnen her. »Wir können versuchen, ins Haus zu kommen. Stellt euch vor: ein altes Spukhaus!« Er trat an ein kleines Fenster und drückte es nach innen auf. »Na?«, rief er ihnen zu. Sophie zögerte: Eigentlich wäre es Zeit, nach Hause zu gehen. Aber ein echtes Spukhaus zu untersuchen … dieser Versuchung konnte sie nicht widerstehen. Geschickt stieg Johnny durch das Fenster. Dann machte Dick für Sophie die Räuberleiter, und Johnny half ihr nach drinnen. »Und jetzt du, Dick!« rief sie.
Dick schaute zu ihnen hoch und dann missmutig an sich hinunter: »Das könnt ihr vergessen. Ich komme da nie hoch.«
Sophie wandte sich zu Johnny um, aber der war schon im Innern des Hauses verschwunden. »Tut uns leid, Dick«, rief Sophie, »wir kommen bald wieder. Wir schauen uns nur etwas um.« Sie winkte ihm zu und folgte dann Johnny durch das Haus. Der Junge probierte einen Lichtschalter. »Kein Strom«, stellte er fest. »Aber vielleicht finden wir etwas zu trinken. Schnaps hält ewig.« Er machte sich auf die Suche nach der Küche. Sophie blieb im Wohnzimmer. Sie hatte ein altes Fotoalbum gefunden und blätterte es durch. Ein Junge, der Johnny ähnlich sah, saß auf der Schaukel im Garten. Es war das letzte Foto im Album. »Meinst du, dieser Junge hat einmal hier gelebt?«, rief sie Johnny zu, als er endlich aus der Küche zurückkam. »Was gehen mich anderer Leute Kinder an«, antwortete Johnny mürrisch und ließ sich schwer auf das Sofa fallen. »Schau, was ich gefunden habe.« Stolz präsentierte er eine Flasche Schnaps und eine Schachtel Zigaretten. »Jetzt machen wir es uns richtig gemütlich.« Er zündete eine Zigarette an und trank den Schnaps direkt aus der Flasche. Sophie wusste nicht, was mit Johnny in der Küche geschehen war. Er war anders als sonst. Sie fühlte sich gar nicht mehr wohl in seiner Gesellschaft. Außerdem begann es zu dämmern. Sie sollte längst zu Hause sein. Was Dick wohl machte? Wie spät es wohl war? »Ich möchte nach Hause«, flüsterte sie. »Ach komm, Sophie, stell dich nicht so an. Trink etwas!« Johnny stand auf und hielt Sophie die Flasche hin. »Ich darf keinen Alkohol trinken. Ich bin doch erst sechs Jahre
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