24 Stunden
legte auf und setzte sich zu Cheryl auf die Couch. Sie schlief mit offenem Mund und schnarchte.
»Aufwachen«, sagte er.
Sie öffnete die Augen, ohne sich zu rühren.
»Ich glaube nicht, dass Hickey Abby oder Karen tötet, bevor er weiß, dass er das Geld hat. Stimmen Sie mir zu?«
Sie schluckte, als hätte sie eine schlimme Mandelentzündung, nickte und schloss die Augen. Das war nicht sehr beruhigend. Will stand auf und stellte sich ans Fenster.
Der Morgen dämmerte. Über dem dunklen Blau schwebte fern zu seiner Linken ein Indigoblau. Was er für blasse Wolkenbildungen gehalten hatte, war das diffuse Licht der Sonne, die sich ihren Weg zwischen dunkleren Wolken hindurch bahnte. Der schmale Strand, den er die ganze Nacht betrachtet hatte, entpuppte sich jetzt als dünne, felsige Wellenbrecher. Hier gab es keinen Strand. Die Wellen des Golfs schlugen mit Wucht gegen den Jachthafen unterhalb des Kasinos.
»Denk mit dem Kopf, Joe«, sagte er leise. »Nicht mit dem Herzen. Denk an das Geld und nicht an deine Mutter. Du willst das Geld. Das Geld...«
15
Als Karen Hände auf ihrem Körper spürte, schrie sie auf.
»Halt den Mund«, fauchte eine Männerstimme. »Zeit, aufzustehen.«
Sie blinzelte und sah, dass Hickey sich über sie beugte. Er rüttelte an ihren Schultern. »Was ist passiert?«, fragte sie und versuchte, sich zu sammeln.
»Du bist eingeschlafen.«
Karen erkannte schlagartig zwei Dinge. Erstens war Hickey angezogen, und zweitens drang Tageslicht durch die Vorhänge. »Mein Gott, nein«, flüsterte sie. Es war ihr unbegreiflich, dass sie schlafen konnte, während Abbys Leben in Gefahr war. Und dennoch war es passiert. »Wie spät ist es?«
»Zeit zu duschen und dich hübsch zu machen. Schmink dich.«
Karens Blick wanderte zu der Digitaluhr auf ihrem Nachtisch: 8:02. Zwei Stunden waren vergangen, seit sie Hickey zum letzten Mal geweckt hatte, damit er seine Kontrollanrufe durchführte. Was war in der Zwischenzeit passiert? Wenn es Will gelungen wäre, Abby zu finden, würde Hickey jetzt nicht da stehen und ihr sagen, dass sie sich duschen und anziehen sollte.
»Holen wir Abby jetzt ab?«
»Wir holen jetzt das Geld. Spiel deine Rolle gut, dann bekommst du deine Abby auch zurück.«
»Ist mit ihr alles in Ordnung?«
»Sie schläft noch. Ich habe gerade mit Huey gesprochen.« Hickey drehte sich um und ging ins Badezimmer.
Karen hörte, dass er die Dusche anstellte. Hickey hatte also gerade mit seinem Cousin gesprochen. Möglicherweise hatte das den Präsidenten von CellStar weitergebracht.
»Beweg dich«, sagte Hickey, als er aus dem Badezimmer kam. Er war genauso gekleidet wie gestern. Auch heute sah er in der Khakihose und dem Polo-Shirt von Ralph Lauren seltsam aus. Dieses Outfit passte irgendwie nicht zu ihm. »Ich koche Kaffee.«
»Könnte ich mit Abby telefonieren?«, fragte sie. »Würden Sie sie für mich anrufen?«
Er schüttelte den Kopf. »Das würde sie nur aufregen. Du siehst sie früh genug.«
Ehe er den Raum verlassen hatte, sagte Karen: »Ich würde gerne kurz mit Ihnen sprechen.«
Er blieb stehen und drehte sich zu ihr um.
»Ich weiß, was heute geschehen wird«, sagte sie. »Ich weiß... was Sie vorhaben.«
Er schaute sie irritiert an. »Was denn?«
»Sie wollen sich an Will rächen. Wegen Ihrer Mutter.«
Hickey äußerte sich nicht und schaute sie ungerührt an.
»Ich verstehe Ihre Wut«, fuhr Karen schnell fort. »Und ich will Sie nicht davon überzeugen, dass Sie Unrecht haben, auch wenn ich es glaube. Sie glauben, dass Sie Recht haben, und nur das zählt.«
»Du hast es erfasst.«
Karen suchte nach den richtigen Worten, um ihn milde zu stimmen. »Ich möchte Sie nur darum bitten - ich flehe Sie an -, haben Sie Erbarmen mit einem fünfjährigen Kind. Nehmen Sie mich stattdessen.«
Hickey kniff die Augen zusammen. »Wie bitte?«
»Um Will zu bestrafen. Töten Sie mich statt Abby.«
In Hickeys dunklen Augen schien sich ein Unwetter zusammenzubrauen.
»Ganz schön mutig, was? Und ich glaube, das ist dein Ernst.«
»Ja.« Das war ihr voller Ernst. Wenn sie starb, könnte Abby zu einer Frau heranwachsen, heiraten und Kinder bekommen auf jeden Fall hätte sie die Chance dazu -, und dann könnte sie eines Tages als glücklicher Mensch sterben. »Ihre Mutter hätte das für Sie sicher auch getan.«
Hickeys Wangen zuckten, doch Karens Offenheit schien seine Wut im Keim zu ersticken. Sie hatten das Reich der Wahrheit betreten, und dem musste sich jeder
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