24 Stunden
Schicksal der Entführung rein zufällig getroffen. Das stimmte jedoch ganz und gar nicht. Dieses Verbrechen, das Hickeys krankes Hirn hervorgebracht hatte, war von Beginn an von Bosheit durchflutet, von Hass angetrieben und auf Rache ausgerichtet. Nein, er hatte nicht rein zufällig vor ihrem Haus in der Dunkelheit gelauert.
»Wie lange haben Sie das hier schon geplant?«, fragte sie leise. »Sie haben gesagt, dass Sie das Gleiche mit anderen Ärzten gemacht haben. Hatten sie alle mit dem Tod Ihrer Mutter zu tun?«
»Nee. Ich hab dir doch erklärt, aus welchen Gründen ich die Ärzte ausgesucht habe. Sie sammeln alle teuren Plunder und gehen ständig zu irgendwelchen Kongressen. Eine klasse Zielgruppe. Das war echt 'ne seltsame Sache mit deinem Mann. Er stand schon auf meiner kurzen Liste, bevor er meine Mutter umgebracht hat, und ist dann einfach ganz nach oben gerutscht.«
Karen umklammerte ihre Knie noch fester. Hickey widmete sich wieder dem Film. Ihn schien es zu faszinieren, wie sich Humphrey Bogarts Paranoia und Hass offenbarten, ein vager Zorn, der in der Familie des Frederic March ganz zufällig eine Zielscheibe gefunden hatte. Der von Bogart gespielte Schurke hatte so ein harmonisches Familienleben nie kennengelernt, und das würde auch nicht mehr geschehen. Karen dachte an das, was Hickey über den Tod seines Vaters gesagt hatte. Er hatte seinem Cousin befohlen, den Mann zu töten, der ihn gezeugt hatte, und Huey hatte ihm gehorcht. Vatermord. Ein Mann, der dazu fähig war, war zu allem fähig.
»Sie wollen nur das Geld, nicht?«, sagte sie und beobachtete sein Gesicht im schwachen Schein des Bildschirms.
Hickey wandte ihr sein Gesicht zu. »Was?«
»Sie wollen nur das Geld, oder?«
»Klar.« Er lächelte, doch das Lächeln erreichte seine Augen nicht. »Was sonst?«
Karen verzog keine Miene, obwohl sie das Gefühl hatte, in einen tiefen Abgrund zu stürzen. Abby war es nicht bestimmt, die Entführung zu überleben. Sie würde so lange am Leben bleiben, bis Hickeys Frau das Lösegeld hatte. Anschließend würde sie irgendwo in einem Straßengraben als Leiche enden und darauf warten, dass ein Hochwildjäger darüber stolperte. Hickeys andere Opfer hatten vielleicht überlebt, aber diesmal war es anders. Diesmal ging es nicht um Geld.
Er möchte Will bestrafen, dachte Karen. Darum wollte er mich vergewaltigen. Von dieser Vergewaltigung sollte Will erfahren. Und wie? Indem er mich tötet. Wenn die
Gerichtsmedizin die geforderte Autopsie durchführt, sollte Hickeys Sperma gefunden werden.
Es ist fast undenkbar, dass Gedanken allein eine Person lähmen können, doch Karen spürte, dass sie körperlich und geistig zusammenbrach. Es war so, als hätte Hickey ihr mit einem Hammer auf den Schädel geschlagen. Sie musste aber unbedingt weiterhin funktionieren und ihre Angst vor Hickey verbergen. Er wollte Abby töten, und das war der alles entscheidende Punkt. Nur allein diese Tatsache musste ihr Handeln ab sofort bestimmen.
Als Erstes musste sie Will warnen, damit er erfuhr, dass sie Abby nicht zurückbekommen würden, selbst wenn sie die ganze Nacht warteten und das Lösegeld bezahlten. Sie wusste zwar noch nicht, wie sie ihn informieren würde, aber eines wusste sie genau: Wenn der Morgen dämmerte und sie noch nichts unternommen hatten, um Abby zu retten, musste sie Hickey töten.
Wenn er nicht mehr lebte und den Befehl nicht geben konnte, Abby zu töten, würde der Riese im Wald vielleicht zögern und den brutalen Auftrag nicht ausführen. Aber zuerst einmal musste sie das Schlafzimmer verlassen. Allein.
Will lag mit einem heißen Handtuch auf dem Gesicht auf dem Sofa im Wohnzimmer seiner Suite. Er hatte keine Lust mehr gehabt, ständig die halbnackte Cheryl anzustarren. Überdies hatte er es satt, ihrer Alltagsphilosophie über seine Ehe und seine gegenwärtige Situation zu lauschen. Er war eine Ewigkeit durchs Wohnzimmer gelaufen, hatte immer wieder die Couchgarnitur umkreist und verzweifelt versucht, seiner Wut über seine Unfähigkeit, Abby zu helfen, Luft zu machen.
Durch das Umherlaufen und seinen Kampf mit Cheryl hatten sich seine Gelenkschmerzen derartig verschlimmert, dass er ein starkes Schmerzmittel nehmen musste, das er nur für Notfälle aufbewahrte. Die Tablette und das heiße Handtuch hatten den Schmerz ein wenig gelindert, doch sein Kopf pochte zum Zerspringen. Das Brummen des QVC-Einkaufssenders drang unaufhörlich aus dem Schlafzimmer. Cheryl lag auf dem Bett und trank
Weitere Kostenlose Bücher