2440 - Armee der Schatten
und dann durfte er nicht!
Tja, ein geborener Held zu sein brachte eben auch Schattenseiten mit sich.
*
„Selbstbeherrschung", hatte Sinco Venethos ihm eingeschärft. „Das ist das Allerwichtigste. Stoische Ruhe und Nervenstärke zählen bekanntlich nicht gerade zu den Kerntugenden unseres Volkes. Für solche Einsätze sind sie jedoch das A und O."
Mittlerweile verstand Trest, was der Kadett gemeint hatte. Dutzende Male, seit er in den Roboter gestiegen beziehungsweise von Venethos und den Grushgelaards hineingestopft worden war, hatte er beinahe laut losgejodelt vor Aufregung.
Immer wieder drängte es ihn, die Freude und Begeisterung, die in ihm loderten, aus vollem Hals hinauszuschreien. Doch das wäre natürlich fatal gewesen: Die relativ simple Steuerung der Wartungseinheit durfte nicht merken, dass sie einen blinden Passagier transportierte und das Bordrechnernetzwerk, mit dem sie verbunden war, schon gar nicht.
Welch seltsam verkehrte Welt! Den engsten Angehörigen musste man verschweigen, was einen am stärksten aufwühlte; die besten, treuesten, verlässlichsten Freunde trachtete man zu betrügen, zu bestehlen, zu berauben!
SENECA, die gewaltige Hyperinpotronik, deren 125.000 Kubikmeter Zellplasma, über eineinhalb Millionen Bioponblocks, unzählige Balpirol-Halbleiter sowie sonstige Betriebs- und Versorgungseinrichtungen im zylindrischen SOL-Mittelteil insgesamt mehr Volumen einnahmen als die gesamte Scherbenstadt im Flansch der SZ-2, war den Mom’Serimern von jeher überaus wohlwollend gesinnt.
Die Frage, ob man SENECA bloß ein „Pseudobewusstsein" zugestehen sollte oder eine echte Persönlichkeit, hatte keiner der ursprünglichen Konstrukteure beantworten wollen. Für die späteren Solaner hingegen – das ging aus den Chroniken eindeutig hervor – besaß SENECA eine Seele, war Hirn und Herz der SOL und absolut loyaler Beschützer ihrer Bewohner.
Die Mom’Serimer neigten ebenfalls zu dieser Auffassung. Sie lebten seit Generationen an Bord des dreiteiligen Trägerschlachtschiffes und betrachteten es als ihre Heimat. So bedingungslos, wie sie an die Zuverlässigkeit der Schutzschirme, der goldenen Soloniumhülle und des Ynkelonium-Terkonit-Stahlgerüsts der SOL glaubten, die insgesamt unter Standardgravitation eine Masse von sage und schreibe 3,67 Milliarden Tonnen aufwies, so rückhaltlos vertrauten sie auch dem allgegenwärtigen Bordrechner.
Vor SENECA hatte man keine Geheimnisse, brauchte man nichts zu verbergen. Schon zu Lebzeiten von Trests Urururururahnen war das so gewesen.
Gleiches galt, freilich in quantitativ weit geringerem Maß, für SENECAS menschliches Pendant, den Chef der Bordlogistik, Oberstleutnant Porto Deangelis. Er hatte die Mom’Serimer ebenfalls stets nach Kräften unterstützt und trotz knapper Ressourcen sein Möglichstes getan, ihre Bedürfnisse zu befriedigen und darüber hinaus Sonderwünsche zu erfüllen.
Entweder an den einen oder den anderen konnte man sich immer wenden, wenn man etwas Spezielles benötigte.
Früher.
Seit die Mor’Daer, Ganschkaren und Kolonnen-Motivatoren die SOL gekapert hatten, standen sowohl Deangelis als auch die Hyperinpotronik unter strenger Kontrolle. Portos Gedanken waren für die Motivatoren ein offenes Buch. Und was SENECA mitbekam, registrierten augenblicklich auch seine Bewacher, die vier Mobilen Rechenhirne.
Genau aus diesem Grund hockte Trest Harkanvolter, eingezwängt und mit unnatürlich verdrehten Gliedmaßen, im Hohlraum des Wartungsroboters. Dieser folgte, solange keine Anweisung von übergeordneten Instanzen vorlag, seinem in der Basis-Programmierung festgelegten Kurs.
Nur bei besonderen Vorkommnissen setzte er per Funk eine Positions- und Statusmeldung ab. Selbst ein Netzwerk wie jenes SENECAS und seiner über den ganzen Schiffsverbund verteilten Knotenrechner sparte, wo es ging, Informationsverarbeitungs-Kapazität und damit Energie.
Als Trest zugestiegen war, hatte Gurli Grushgelaard den Roboter manipuliert. Er „glaubte" nun, randvoll mit aufgesammeltem Müll zu sein, den es zu entsorgen galt, und steuerte hierfür den nächstgelegenen Konverter an.
Sobald er diesen erreichte, verblieben dem Urururururenkel des legendären Lord-Eunuchen Crom Harkanvolter exakt sieben Zehntelsekunden, der Desintegration zu entgehen.
*
Die Maschine stoppte, öffnete die Ladeklappe und kippte ihre Fracht hinaus.
Trest entfaltete Arme, Beine und Kopftentakel. Sämtliche Extremitäten protestierten durch heftige
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