2470 - Finsternis ÃŒber Terra
nennst mich nicht mehr dein Kind, ist das klar? Denn ich ... ich .."
„Was denn?", fragte Tenpole und machte einen Schritt auf ihn zu.
„Was? Sag es, sag es! Lass uns reden, lasst uns ..."
„Ich schäme mich für so einen Vater!" Corsair schüttelte die Faust in seine Richtung. „Ich könnte im Boden versinken vor Scham! Und so etwas will unsere Mutter jemals geliebt haben?"
*
Das hatte gesessen.
Tenpole Opera verstand im Moment nicht vieles, eines aber wurde ihm mit aller Deutlichkeit klar, als habe sich soeben ein schwerer Vorhang gehoben, der ihm bislang jede Sicht auf sich und das verwehrt hatte, was er, noch immer, als seine Familie ansah.
Nach Jerias Tod würde es nie wieder sein können wie früher. Niemals würden die Kinder ihn so respektieren wie ihre Mutter. Nie würden auch die Vorwürfe ganz aufhören, die sie ihm wegen Jerias Tod machten. Das war umso schlimmer, als er es ihnen nicht verübeln durfte.
Aber – und das sah er in diesem Augenblick so deutlich vor sich wie nie – sie waren an einem Punkt angelangt, an dem es nur zwei Möglichkeiten für sie gab: Entweder ihre kleine Familie zerbrach, oder sie schafften es; sie bekamen es auf die Reihe, zueinanderzufinden und an einem Strang zu ziehen.
Schlimmer als im Augenblick konnte es nicht mehr kommen. Sie hatten sich alles an Scheußlichkeiten gesagt, was es zu sagen gab. Corsair hätte nicht deutlicher werden können. Und was Arnie quälte, war so offensichtlich, dass es ihm ins Gesicht sprang.
Der Kleine litt unter dem dauernden Streit und der Uneinigkeit wie kein anderer von ihnen. Wahrscheinlich, das leuchtete ein, war genau das auch der Grund dafür, dass er keine Ruhe fand und sich in seinen virtuellen Welten ganz langsam, aber tödlich sicher verlor. In seinen Holo-Spielen und seinen famosen Freunden, die vermutlich genauso kaputt und haltlos waren wie er.
Wenn das also alles stimmte – was konnte er tun, um das Ruder herumzureißen? Den Karren aus dem Dreck zu ziehen?
Und was war mit der Angst, die an ihm fraß? Der schrecklichen Panik?
Würden sie jemals aufhören? Konnte er etwas dagegen unternehmen?
Was sollte er tun, was war richtig und was falsch? Bisher war es immer falsch gewesen, was er getan und versucht hatte. Ob er nun wie ein Kamerad oder autoritär aufgetreten war – seine Kinder lachten über ihn oder gingen auf ihn los. Sie nahmen ihn nicht ernst und besaßen keinen Respekt vor ihrem Vater und Erzieher.
Dem Mann, der hart arbeitete, um ihnen ihr kaputtes Leben zu ermöglichen.
Was war es also? Was war das Geheimnis, sie für sich zu gewinnen?
„Anulyn ist fort." Corsairs Stimme schallte in der Düsternis wie schwarzer Rauch, der noch dunkler war.
Aber die Wolke zitterte und verblasste. „Unsere Schwester ist weg, und du stehst dumm herum!"
Corsair funkelte ihn an, einen Arm um Arnies Schultern gelegt. Der Jüngste war neben ihm zusammengebrochen, sagte nichts, weinte nicht mehr, sondern drückte sich nur still in die Seite seines großen Bruders.
Tenpole sah ihn zittern.
„Wir werden sie suchen", hörte er sich sagen – und wusste im selben Moment, dass es falsch war. „Wir suchen eure Schwester und ..."
Tenpole stockte. Das war es nicht.
Er brauchte nicht erst in Corsairs Gesicht zu sehen, seine neue Wut, den Trotz und das Aufbegehren.
„Wir suchen Anulyn – was haltet ihr davon? Corsair ..." Er sah ihn nicht an, sondern drehte sich halb und wies in die Schatten, die sich träge in den beiden neu geschaffenen Öffnungen bewegten. „Was denkst du, Corsair? Entweder das Schiff oder sein Meister – oder beide – haben uns zwei Möglichkeiten eröffnet, diese Enge zu verlassen. Vielleicht ..."
„... ist es eine Falle", übernahm Corsair – mit genau den Worten, die sein Vater hatte sagen wollen. „Es könnte eine verdammte Falle sein!
Schon mal daran gedacht?"
„Das Risiko müssen wir eingehen, oder nicht?" Tenpole war verwundert über die plötzliche Ruhe in seiner Stimme. „Wenn wir hierbleiben und nichts tun, werden wir Anulyn nie finden."
„Wir riskieren es!", verkündete Corsair. Er schüttelte eine Faust. „Wir versuchen es und finden Anulyn!
Hörst du, Schwester? Du bist eine verrückte, durchgeknallte, mannsgeile Tusse, aber ich hole dich auch aus der tiefsten Hölle heraus, wenn du in Not bist!"
„Ja." Arnie schluchzte. „Wir lassen dich nicht allein, Anulyn. Wir haben dich ... doch lieb ..."
Tenpole schluckte die Furcht hinunter. Sie schmeckte bitter.
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