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2475 - Opfergang

Titel: 2475 - Opfergang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannt
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Terra
     
    Blutrot war die Sonne hinter der Insel Santiago untergegangen. Ein letzter Hauch der verwehenden Farbenpracht hing noch über dem Horizont, während über dem offenen Meer längst mit Riesenschritten die Nacht heraufzog.
    Es gab keine echten Sterne mehr über Terra, seit die Terminale Kolonne das Solsystem okkupierte und der TERRANOVA-Schirm als undurchdringliche Barriere permanent Bestand hatte. Die zweitausend Kunstsonnen der Laternen-Matrix waren kein Ersatz. Nicht für Romantiker und schon gar nicht für Verliebte, deren gemeinsame Zeit zu Ende ging und die wussten, dass ihnen keine Zukunft vergönnt war.
    Wie lange noch?
    Marc London sprach die Frage nicht aus, die ihn mehr als alles andere bewegte.
    Schweigend stand er am Rand der großen Bucht, fixierte die heranschwappenden kleinen Wellen und zog mit den Zehen unerbittlich einen Strich nach dem anderen in den feinen Sand. Trennlinien waren das. Jeder Strich ein Tag, eine Woche, ein Monat. Was machte das jetzt noch aus?
    Trotzig hatte Marc die Hände in die Hosentaschen gerammt.
    Er fühlte sich leer und ausgebrannt.
    Was hatte er alles tun wollen, um Fawn bei sich zu behalten. Und was tat er – jetzt, da der Abschied wirklich nur mehr eine Frage von Stunden war, bestenfalls von einem oder zwei Tagen? Rückblickend war die Zeit mit Fawn rasend schnell vergangen.
    Nichts tat er. Er stand da wie ein dummer pubertierender Jüngling und vergeudete die letzten kostbaren Minuten.
    Sie hätten für Fawn und ihn unvergesslich werden können. Stattdessen gerieten sie zur Bühne öden Selbstmitleids.
    Die Dämmerung in diesen Breiten war kurz. Übers Meer kroch die Nacht heran; vielleicht würde es wirklich die letzte gemeinsame Nacht sein.
    Neben ihm klatschte eine Welle heftiger auf den Strand. Marc zuckte in dem Moment zusammen, weil er glaubte, Fawn hätte sich endlich aus ihrer Nachdenklichkeit gelöst und käme zu ihm. Er hatte sich getäuscht. Sie saß immer noch in sich versunken auf dem verwitternden Lavabrocken und beobachtete das krabbelnde und huschende Leben zwischen Mangroven und Dornenbüschen. Als müsse sie von all dem Grünzeug, den Lavaechsen, Geckos und sogar den Ameisen Abschied nehmen.
    Wieder wanderte Marcs Blick in die Höhe. Die Laternen-Matrix leuchtete bereits heller. Zweitausend Kunstsonnen in Höhe der Uranusbahn – sie waren ein schlechter Tausch gegen den weichen Schimmer der Milchstraße, gegen Nebel und fernste Galaxien ... Auf Anhieb fand Marc das aus dreißig Kunstsonnen nachgebildete Signet der Liga Freier Terraner. Für ihn war das Werk eines abgehobenen Lichtdesigners einfach nur indiskutabel.
    „Mich kotzt diese falsche Pracht ..."
    Er biss sich auf die Zunge. Fawn saß noch auf dem Lavabrocken, keine zehn Schritte hinter ihm. Aber sie starrte nicht auf die Luftwurzeln der Mangroven.
    Marc sah erst jetzt, dass sie ihn beobachtet hatte.
    Ein bitteres Lächeln grub sich um ihre Mundwinkel ein.
    „Ja? Was wolltest du sagen, Marc?"
    Er kratzte sich an der Schläfe. „Früher waren wenigstens die Sterne echt." Tief atmete er ein. „Entschuldige, Fawn. Was bin ich doch für ein Idiot."
    Ihre Augen lächelten, während ihr Mund schmal und klein und ernst blieb.
    Fast schien es ihm, als spiegelte sich ein letzter Widerschein des Abendrots in ihnen.
    „Ich weiß, wie dir zumute ist, Marc."
    „Nein!", wollte er sagen. „Nein, Fawn, das weißt du eben nicht. Wir haben so oft darüber gesprochen, aber dabei haben wir nur alles zerredet. Die Wirklichkeit ist anders, ist Schmerz und Sehnsucht ..." Nicht ein Wort davon kam über seine Lippen. Weil es unfair gewesen wäre, eine Schuldzuweisung, die ihre Trennung nur noch unerträglicher gemacht hätte.
    „Warum machen wir es uns unnötig schwer, Marc? Warum vergessen wir nicht einfach alles?"
    Er lachte, verstummte mittendrin, nickte. Es war ein beinahe trotziges Nicken, und er hoffte, dass Fawn das nicht auffiel.
    Mit wenigen Schritten war er bei ihr, streckte ihr seine Hände entgegen, und sie griff zu und ließ sich von ihm in die Höhe ziehen. Ihre und seine Finger verschränkten sich ineinander, und Fawn legte ihren Kopf an seine Schulter.
    Minutenlang standen sie so aneinandergelehnt und schweigend da. Marc dachte an gar nichts, er ließ sich einfach treiben und konnte spüren, dass es Fawn genauso ging. Er roch ihr Haar, den Duft ihrer Haut; er spürte die Wärme ihres Körpers und war glücklich über Fawns Nähe, dass er sie einfach nur in den Armen halten durfte.

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