2475 - Opfergang
Gewissheit, als er die letzte der großen Höhlen erreichte.
Mehrere Steiger waren von dem tobenden Tier an der Wand zerquetscht worden.
Der rückwärtige Bereich der Höhle war eingestürzt. Das massige Tier hatte den Geröllwall durchbrochen und zu beiden Seiten seines Körpers eine deutliche Spur aus Gesteinsbrocken hinterlassen. Immerhin war es gut sechsmal so lang wie ein ausgewachsener Effremi und bestand fast nur aus Muskelmasse.
Trotz seiner kriechenden Fortbewegung konnte der Laborat unglaublich schnell sein.
Jothadún schickte ein Stoßgebet zu seinen Göttern. Es war lange her, dass er das zum letzten Mal getan hatte, während der Schlacht um das Kosmonukleotid TRYCLAU-3. Er hatte damals nicht erwartet, dass ein Gebet allein helfen würde, aber er hatte die alten Phrasen in Gedanken zitiert, weil sie guttaten. Nun erging es ihm wieder so.
Während seine Lippen in lautloser Zwiesprache bebten, erfasste er die bedrückende Szenerie.
Vergeblich waren die Bemühungen zweier Steiger, den Laboraten abzudrängen. Zwei andere aus der Chaos-Phalanx lagen mit verdrehten Körpern am Boden; ihre Kleidung war von den peitschenden Tentakeln des Untiers zerfetzt worden.
Jothadún nahm an, dass der Geruch der Freiheit den Laboraten in einen wahren Rausch getrieben hatte.
„Lasst ihn in Ruhe!", brüllte er nach oben. „Er wird ruhiger werden, sobald er sich ausgetobt hat."
Der Lärm verschluckte den Ruf. Jothadún erkannte, dass die Gefährten ihn nicht einmal bemerkten.
Noch während er nach oben schaute, bäumte sich das Tier auf. Der breite Schädel mit den mannsdicken Antennenfühlern stieg jäh in die Höhe und klatschte schon einen Atemzug später auf die Schräge zurück. Der Laborat begrub dabei einen der Steiger unter sich.
Der andere warf sich zurück. Er stolperte, versuchte noch, mit beiden Armen rudernd, das Gleichgewicht zu halten, schaffte es aber nicht. Jothadún vermutete, dass der dröhnende Aufprall des Laboraten den Mann von den Füßen gerissen hatte. Erst jetzt erkannte er Muroic, der es beinahe ebenso lange wie Jothadún selbst fertiggebracht hatte, am Leben zu bleiben.
Muroic war schnell. Mit beiden Händen wirbelte er abwehrend den Kollektorstab hoch, als ihm die Tentakel des Laboraten entgegenpeitschten. Um Haaresbreite entging er dem qualvollen Schicksal, von den Maden des Laboraten langsam aufgefressen zu werden. Die Tentakel mit ihren Nesselkapseln trieben die Eier des Laboraten tief ins Fleisch seiner Opfer, und aus diesen Krallen entwickelten sich schnell die parasitären Maden.
Jothadún verdrängte den Gedanken an die bedauernswerten Steiger, denen dieses Schicksal den Tod gebracht hatte.
Der Laborat erreichte das Ende der abgeknickten Bodenplatte. Mit heftigen Kontraktionen seines massigen Körpers schob er sich vollends in die Höhe.
Jothadún sah, dass jemand mit Steinen nach dem Tier warf. Ebenso gut hätte der Betreffende versuchen können, einen Lastengleiter mit Pfeil und Bogen abzuschießen.
Laut rufend und mit den Händen winkend, um den Lebensmüden auf sich aufmerksam zu machen, stürmte der Effremi die Schräge hinauf.
*
Lange Zeit blieb Taress einfach liegen.
Er schaute dem Spiel der wachsenden Wolken zu, während die Sonne am Himmel weiterwanderte und sich ihre Farbe ins Bläuliche veränderte.
Es regnete sanft.
Taress genoss die prickelnde Nässe auf seiner dick verhornten Haut. Der Säureregen löste die abgestorbenen Zellen auf, und ein leicht bitterer Geruch breitete sich aus.
Von irgendwoher erklangen Stimmen.
Das waren Kas’h, die wie er den Regen für ihre Körperpflege nutzten. Taress stützte sich auf den Unterarmen auf, aber selbst jetzt sah er nur das wogende hohe Gras, eine endlose Ebene, die sich von den fernen Bergen bis zum Meer erstreckte. Hingestreut wie winzige Farbtupfer lagen dazwischen die Siedlungen der Kas’h, ausgerichtet nach dem Muster der nächsten Dimensionen.
Die Stimmen kamen näher. Taress glaubte, jemanden seinen Namen rufen zu hören. Doch erst als sich der Ruf wiederholte, drängender und beinahe furchtsam klang, kam Taress vollends auf die Beine.
Ein Schatten fiel auf das Land, glitt über ihn hinweg und kehrte schnell zurück. Ein dumpfer, weithin hallender Schrei zerriss die trügerische Stille. Der Schatten stieß auf ihn herab. Taress begriff beinahe zu spät, dass der Greifsegler ihn als Beute auserwählt hatte.
Als er sich zu Boden warf, peitschten die Fänge des Raubtieres schon über ihn hinweg.
Weitere Kostenlose Bücher