2486 Wispern des Hyperraums
Haaresbreite am Zusammenbruch des Paratronschirms vorbeigeschrammt.
Den einzig positiven Nebeneffekt verzeichneten die Technikerteams bei den Trafitron-Wandlern, die derzeit mit maximaler Zapfleistung arbeiteten. Die Aufnahme von zehn hoch dreiunddreißig Joule in jeder Sekunde konnte sonst nur im Umfeld eines Riesensterns mit ausreichend hoher ultra-und suprahochfrequenter Emission erreicht werden.
Natürlich war mir bewusst, dass jedes Milligramm Psi-Materie die Reichweite der JULES VERNE erhöhte.
Aber die ersten Traitanks der Kolonne würden kommen, sobald der Hyperorkan weiter abflaute, und bis dahin musste das Schiff in Sicherheit sein.
Ich hatte die Zentrale verlassen und hielt mich seit einigen Minuten bei den Kantorschen Ultra-Messwerken auf. Obwohl einige der Wissenschaftler ziemlich erschöpft wirkten, war ihre Stimmung gelöst. Fast freudig erregt.
»Du weißt, was sich vor unseren Augen abspielt?« Varantir streifte mich mit einem forschenden Blick, dann wandte er sich wieder den Auswertungen zu. Eben noch war hitzig darüber debattiert worden. Offensichtlich gab es mehrere Interpretationsmöglichkeiten, die der Algorrian allesamt verworfen hatte.
Ich sah Fawn Suzuke im Hintergrund stehen und aufmerksam beobachten. Sie schaute nur kurz auf, als sie mich bemerkte, und lächelte. Bedeutete dies, dass ich die richtigen Schlüsse gezogen hatte?
Daellians Überlebenstank drehte sich unvermittelt herum und wandte mir die Stirnseite zu. Das war eine Reaktion, die Daellians Gehirn all die Jahre hindurch beibehalten hatte. Von seinem Körper war nach dem Unfall nichts dauerhaft geblieben. Aber seine Reaktion verriet doch, dass er sich mit dem kantigen Tank identifizierte.
»Die Chaosphysik hier im Bereich Ba-Lekatusch verliert deutlich an Stärke«, sagte Daellian. »Sämtliche Messwerte zeigen einen konstanten Verlauf. Offensichtlich beschleunigt sich der Vorgang noch, nachdem er schleppend eingesetzt hat.«
Das war mir aufgefallen. Trotz des Hyperorkans hatte ich mich mehrmals auf die enervierende Ausstrahlung des Vibra-Psi konzentriert. Für wenige Minuten, als die Meg-Werte ebenfalls angeschwollen waren, hatte es eine heftig pulsierende Charakteristik angenommen. Inzwischen verlor das Vibra-Psi fühlbar an Intensität.
»Der Kosmische Messenger hat die Retroversion der Proto-Negasphäre in Gang gesetzt!«, sagte ich.
Wie leicht mir die Feststellung über die Lippen kam. Gar nicht, als entscheide sich damit das Schicksal einiger Dutzend Galaxien und Zehntausender intelligenter Völker.
Eigentlich hätte ich über mich selbst erschrecken müssen, über meine kühle Distanziertheit. Ich fragte mich, warum ich so unbewegt blieb. Was verband sich nicht alles mit der Hoffnung auf die Retroversion? Wie groß war die Furcht gewesen und war es noch, den Kampf um die eigene Existenz zu verlieren?
Meine Fähigkeit, mich schnell auf jede neue Situation einstellen zu können, ließ mich nicht im Stich. Aber vielleicht hatte ich einfach verlernt, Gefühlen nachzugeben. Ich dachte an Akon, an Roi, an die Menschen des Stardust-Systems. An die Toten in den Stadien auf der Erde, die ihr Leben gegeben hatten, um den TERRANOVA-Schirm um das Sonnensystem gegen TRAITORS Angriffe zu stabilisieren ...
Varantir kam auf mich zu.
»Was wir soeben erleben, ist ein Vorgang von galaktischer Tragweite!«, sagte er betont. »Die Tätigkeit des Kosmischen Messengers drängt nicht nur die Chaosphysik zurück, sie dürfte innerhalb weniger Tage sogar den Grenzwall von Hangay aufgelöst haben.«
»Ich nehme an, genau dasselbe spielt sich in diesen Minuten im Sektor Ardibi-Grachay ab.«
»So ist es!«
Der Algorrian versuchte ein Lächeln, doch es gelang ihm nicht.
»Wie werden die Informationen des Messengers eigentlich weitergegeben, Curcaryen?«, fragte ich ihn, bevor er sich wieder abwenden konnte. »Ich meine, auf welche Weise erfolgt die Reparatur der von der Chaosphysik angerichteten Schäden?«
Varantir schaute mich überrascht an. Sein Mienenspiel wechselte allerdings sehr schnell über einen Ausdruck von Verblüffung hin zu offensichtlichem Ärger.
»Darauf gibt es keine Antwort«, erwiderte er knapp.
»Für mich ist das eine der zentralen kosmologischen Fragen«, beharrte ich. »Soweit mir bekannt ist, handelt es sich bei einem Messenger um das ausführende Organ des Moralischen Kodes.«
Varantir wirkte unschlüssig. Für einen Augenblick war mir, als zerbräche seine oft zur Schau gestellte Überheblichkeit.
Weitere Kostenlose Bücher