2489 - Schach dem Chaos
angesichts der proto-chaotischen Verhältnisse kaum manövrieren.«
»Täusch dich nur nicht«, meinte Dao-Lin-H'ay. »Wenn sie sich bis hierher vorgewagt haben, bedeutet dies, dass sie sich ihrer Sache sehr sicher sind. Die Strategen der Noquaa-Kansahariyya haben sehr genau auf diesen Moment hingearbeitet. Es handelt sich wohl um Schiffe der Vibra-Staffel.«
»Oder aber die Hangay-Kartanin begehen eine Verzweiflungstat«, entgegnete der Terraner ruhig.
»Oder aber dies ist das letzte Aufgebot der Kartanin«, bestätigte Dao-Lin-H'ay. »Doch daran glaube ich nicht.«
Sie will nicht daran glauben, dachte Ejdu Melia. Die Unsterbliche stank in diesen Momenten nach Angst und Verzweiflung.
Jene unaufgeregte Geschäftigkeit, die das Bordleben der Solaner so sehr kennzeichnete, setzte wieder ein. Jeder Handgriff saß. Ejdu Melia sah die Bewohner dieses Generationenschiffs wie winzig kleine Zahnräder, die perfekt ineinander-griffen. Hunderte, ja Tausende Einzelfaktoren fanden zueinander, formten ein großes Ganzes.
»Die Kartanin werden verfolgt!«, meldete dieselbe Ortungsoffizierin wie zuvor. »Traitanks haben sich ihnen auf die Fersen gesetzt.«
»Umso wichtiger ist es, dass wir ihnen hinterherkommen«, sagte Dao-Lin-H'ay knapp. Doch Ejdu Melia spürte ihre große Verzweiflung.
*
Die Zielstrebigkeit der Trimarane bewies, dass tatsächlich Kartanin der Vibra-Staffel in den Pilotensitzen saßen. Die SOL verfolgte das Geschwader, das wiederum gegen Traitanks zu kämpfen hatte. Kleine, kleinste Erschütterungen im Hyperraum, von den Kantor-Messwerken erfasst, kündeten von Schusswechseln - und von Treffern aufseiten der Kartanin.
Ejdu Melia scherten diese Dinge nicht. Sie nützte die Gunst der Stunde. Dao-Lin-H'ay war mit ihrer Arbeit beschäftigt und kümmerte sich nicht um sie. Die Friedensfahrerin blieb in ihrer unmittelbaren Nähe, sonnte sich in ihrer Ausstrahlung wie in der einer Sonne.
Mit unfassbarer Geschwindigkeit gingen die Veränderungen in und an ihr vor sich. Die Kartanin brannte Spuren in ihr genetisches Muster, veränderte Verhaltensweisen, erzeugte neue Emotionsbilder. Natürlich würde es ein oder zwei Monate dauern, bis die Transgenese abgeschlossen war; doch der Beginn des Prozesses verlief vielversprechend.
Ejdus Hochgefühl schlug dank des sepulchthidischen Drangs zur Selbstgeißelung in Verzweiflung um. Wie sollte es ihr gelingen, so lange in unmittelbarer Nähe Daos zu verharren? Die Kartanin führte ein - gelinde gesagt - exotisches Leben. Es trieb sie mal hier- und mal dorthin. Vielleicht würde sie, nachdem KOLTOROC besiegt war, mit den anderen Unsterblichen zur Erde zurückkehren, vielleicht sah sie sich dazu berufen, beim Neuaufbau Hangays mitzuhelfen ...
Ein Wandel geschah mit ihr, aus Verzweiflung wurde Panik. Ihre Gedanken ergaben kaum noch Sinn. Niemand wusste, ob es angesichts der Bedrohungen durch die Terminale Kolonne ein Überleben gab. Wie konnte sie da an ein Morgen denken oder daran, was in einem Monat sein würde?
»Du wolltest mich um Hilfe bitten«, durchdrang plötzlich Dao-Lin-H'ays Stimme ihre Gedanken.
»J... ja.«
»Schieß los.« Die Kartanin schaltete einen Teil der Holo-Schirme weg. Alle Anzeichen deuteten darauf hin, dass die Verfolgung der beiden Flotten noch einige Zeit in Anspruch nehmen würde. »Sag, was du zu sagen hast.«
Ejdu Melia sammelte ihre Gedanken. Der widerliche Geruch des Sepulchthi-den ließ also bereits nach; noch rascher, als sie es geglaubt hatte.
»Du hast keine Ahnung, wer ich bin, stimmt's?« Nur mit Mühen vermied sie liebkosende Worte, die die Kartanin sicherlich verärgert hätten.
»Ejdu Melia. Friedensfahrerin. Besitzerin der OREON-Kapsel N'DRANGA.
Das Vorgängerschiff, die N'JABO, wurde auf einem Planeten vernichtet, der denselben Namen trug. Du bist eine gute Bekannte Kantirans und warst auf mehreren Missionen gemeinsam mit ihm im Einsatz.«
»Das sind die Daten, ja.« Ejdu Melia unterdrückte den Impuls, nach sepulchthidischer Art bestärkende Duftstoffe auszustoßen. Es gelang ihr unter Schmerzen; die Drüsen verstopften zunehmend. Blut verdickte, alte Sekrete kämpften gegen neu erzeugte an, ihr biologisches Gleichgewicht geriet immer weiter in eine ungesunde Schieflage. »Aber es gibt weitaus mehr zu wissen. Ich bin kein Sepulchthide; die Körperform, die du vor dir siehst, ist nicht meine eigene.«
Nun hatte sie die völlige Aufmerksamkeit Dao-Lin-H'ays.
»Ich bin eine Gestaltwandlerin.«
Stille.
Dann: »Das
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