2493 - Der Weltweise - Leo Lukas
Beeren und Früchte, teils exotischen Aussehens und bedenklichen Geruchs, sowie Frischwasser in unterarmlangen, lila behaarten Pflanzenkelchen. Pal Astuin erklärte die notdürftige Verpflegung für genießbar. Seiner TLD-Ausbildung vertrauend, stillten auch die Übrigen ihren Hunger und Durst.
Savoire kaute, ohne viel zu schmecken. Er sorgte sich weniger um die eigene Gesundheit als darum, wie sie den Weltweisen ernähren sollten ...
Bei Einbruch der Dämmerung bereiteten sie am Waldrand primitive Schlafstätten aus Blättern. Matheux Alan-Bari säuberte sein Lager peinlich genau von Insekten und sonstigem Krabbelgetier, ehe er sich ächzend niederließ.
Zu seiner eigenen Verwunderung fand er sich allmählich mit der grotesken Situation ab. Details amüsierten ihn sogar; etwa, dass einige der Prozessoren ihre Blöße mittels umständlich arrangierter Vegetationsteile zu bedecken versuchten.
Ihm war das zu dumm. Wieso sollte er Schamgefühl entwickeln vor Leuten, mit denen er seine intensivsten mathematischen Gedanken geteilt hatte?
Das Licht der untergehenden Sonne färbte die Umgebung golden, dann blutrot, dann bräunlich. Matheux streckte seine Beine von sich. Er spreizte die Zehen, wälzte sich zurecht, verschränkte die Hände hinterm Kopf und starrte in den sternklaren, abstoßend fremden Himmel.
Zeit seines Lebens als normaler Mensch hatte er Terra nie verlassen. Sollten ihn die abenteuerlustigen Studenten an der Waringer-Akademie hinter seinem Rücken ruhig als »Heimschläfer« verspotten! Er war immer froh gewesen, dass ihn kein Fernweh plagte.
Und jetzt glotzte ausgerechnet er mit den eigenen, alten Augen hinauf ins gleißende Funkeln der Millionen Zentrumssterne von Hangay ... Er runzelte die Stirn, kniff die Lider zusammen.
Was war das denn?
Aus dem Hintergrund des Lichtermeers schälte sich eine stabförmige Kontur. Anfangs so, als hinge hoch über dem Gebiet eine Skapalm-Bark;
oder ein Raumschiff von ähnlicher, vielleicht etwas länger gestreckter Bauart. Doch je mehr die Reste des Sonnenlichts verblassten, desto deutlicher erkannte Matheux, dass sich der dunkle Balken von Horizont zu Horizont spannte.
Nun bemerkten es auch seine Schicksalsgenossen. Mutmaßungen wurden laut.
Ein Kondensstreifen? Oder ein orbitaler Staubgürtel? - Unsinn, dafür war der Umriss viel zu scharf und ebenmäßig.
Zweifellos handelte es sich um ein künstliches Gebilde. Und zwar um eines von immenser Dimensionierung; so groß wie, nein: länger als der gesamte Planet! Ein riesiges Schiff, eine Raumstation oder ...
»GLOIN TRAITOR«, wisperte Matheux.
Zweiter Tag:
Recht und (Unter-)Ordnung
Das Gerichtsgebäude lag am Fuße des Vulkankegels, buchstäblich zwischen Wasser und Feuer.
An der Westseite endete der Zubringerkanal. Dahinter lag nur karges, unwegsames Gebirge. In der Ostwand klafften die Luken der Lavawächter. Außerdem befand sich dort die Henkersklappe, worunter eine steile Rutsche direkt hinein in die Höllenglut führte.
Würde Sahmsivil schon bald diesen Weg ohne Wiederkehr gehen?
Dass ihm die höchstmögliche Strafe winkte, wusste er mit Gewissheit; jedoch nicht, worin diese bestand. Das Strafmaß schwankte je nach prognostizierter Bevölkerungsentwicklung.
Wuchs die Population gerade, so mussten überführte Schwerstverbrecher ihren letzten Tauchgang ins Magma antreten. War sie hingegen eher im Schwinden begriffen, kamen die Übeltäter mit lebenslänglicher Zwangsarbeit in den Schürfminen am Meeresgrund davon.
Sahmsivil hatte sich nicht erkundigt, welche Höchststrafe momentan aktuell war. So oder so würde er nie mehr die freie Weite des Ozeans schmecken.
Langsam dahinwelken im Faulschlamm oder übergangslos von der Erdhitze verzehrt werden ... Im Zweifelsfall zog er Letzteres allemal vor.
Das Verfahren begann. Ohrenbetäubend laut wummerten die großen, mit Häuten von Titanhaien bespannten Trommeln, in einem dem Herzschlag der Ckornauten nachempfundenen Rhythmus. Spitze Hauben und zeremonielle Harpunen tragende, von süßlich duftendem Ritualstaub überzuckerte Rechtspfleger geleiteten den Angeklagten in den Gerichtssaal.
Nicht zu Unrecht galt dieser in ein freitragendes Rippengewölbe eingebettete Raum als Glanzstück der ckornautischen Architektur. Die Emporen und verschlungenen Galerien bildeten einen vollwüchsigen Kelpwald nach. Um das Wohlbefinden der Besucher zu steigern, wurden die Sitzmulden von einem ausgeklügelten System diskret plätschernder Wasserfälle
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