25 - Ardistan und Dschinnistan II
in jeder Not und Gefahr?
Denke dir die arme, geplagte und gemarterte Seele eines unterdrückten
Volkes, welche täglich und stündlich zum Thron ihres Herrschers betteln
geht, ohne daß er sie auch nur eine Minute beachtet! Denke dir –“
Da sprang er plötzlich auf, warf die Arme weit auseinander und bat:
„Halt ein, halt ein, Effendi! Du treibst es zu toll, zu toll! Ich
möchte dich erwürgen! Hier mit diesen meinen beiden Händen, so –
so – so!“
Er krallte seine Hände zusammen und bewegte sie hin und her, als ob
er meinen Hals zwischen ihnen habe. Seine Zähne knirschten dabei.
Hierauf holte er tief, tief Atem und fuhr in ruhigerem Ton fort: „Und
dennoch fürchte ich, daß ich, wenn ich dich getötet hätte, um dich
weinen und klagen würde als um den Einzigen, den ich achte, den ich
liebe, und zugleich – fürchte! Du bist ein ganz entsetzlicher
Mensch! Ein grauenhafter Mörder! Du hast soeben jetzt in mir etwas
erschlagen, etwas, was ich für groß, für hoch, für adelig, für
unendlich köstlich gehalten habe! Ob mit Recht oder Unrecht, wird sich
finden! Ganz ist es freilich noch nicht tot. Es windet sich noch
jammernd und schreiend hin und her, tief unten am Boden, an der Erde.
Der innere Mensch ist nicht so leicht zu erschlagen, wie der äußere!
Ich muß wissen, was ich da zu tun habe! Ob ich ihn zu retten suche und
ihn gegen dich verteidige, oder ob ich ihm zu deinen Hieben auch noch
meinen Fußtritt gebe und ihn dort hinunterstoße, wo es für Leichen
nicht mehr möglich ist, wieder lebend zu werden! Gib mir Zeit; gib mir
Zeit, nur eine Viertelstunde! Ist sie vorüber, dann kehre ich zurück!“
Er entfernte sich mit langsamen Schritt, um im Dunkel der Nacht zu
verschwinden und mit den Gedanken, die durch sein Inneres stürmten,
allein zu sein. Da aber rief der ‚Panther‘, der das sah, in drohendem
Tone:
„Halt! Bleiben! Wer sich in den Verdacht setzt, fliehen zu wollen, den fassen meine Reiter!“
Der Mir kehrte um, doch ohne ihn einer Antwort zu würdigen, und ließ sich da wieder nieder, wo er gesessen hatte.
„Effendi, ich bitte dich“, sagte er, „versuche du, zu schlafen, ich
aber kann es nicht! Du hast eine Pforte in mir geöffnet, nicht leise,
leicht und rücksichtsvoll, wie man die Türen fremder Zimmer zu öffnen
pflegt, sondern mit Gewalt, mit Faustschlägen und Fußtritten, durch
welche diese Pforte zerschmettert worden und zusammengebrochen ist. Da
draußen jenseits dieser Türe ist es hell und warm und licht. Es dringen
Gedanken und Gestalten herein, von deren Dasein ich bis heute noch
keine Ahnung hatte. Ich muß sie betrachten, ich muß sie prüfen; ich muß
mit ihnen sprechen; ich muß sie fragen, was sie wollen. Und ich muß
ihnen dann sagen, ob sie bleiben sollen oder nicht. Habe Geduld, bis
ich mit ihnen fertig bin; ich sage dir morgen alles!“
Er legte sich nieder, nahm den Sattel als Kopfkissen, streckte sich
unter einem schweren, tiefen Atemzuge lang aus und lag nun still und
bewegungslos da, die Augen zu den Sternen emporgerichtet, und ich hatte
in diesem Augenblick nur den einen herzlichen Wunsch, daß auch in
seinem Innern die Sterne aufgehen möchten, ohne welche ein jedes
Menschenleben, und sei es künstlich noch so hell erleuchtet, doch
nichts als ein Dunkel ist. Ich wollte mich nicht von ihm trennen und
holte auch meinen Sattel herbei. Gleich einzuschlafen, war auch mir
unmöglich. Wo eine Seele in der Geburt eines Lebens ringt, soll man sie
fühlen lassen, daß Rat und Hilfe nahe ist.
Es mochte weit über eine Stunde vergangen sein, da bewegte er sich zum ersten Mal wieder.
„Effendi, schläfst du?“ fragte er.
„Nein“, antwortete ich.
„Schlaf immerzu! Habe keine Sorge um mich! Ich habe nicht umsonst
euer Weihnachtsfest gesehen, es sogar mitgefeiert, nicht nur äußerlich,
sondern auch innerlich! Darf ich dir das Resultat der jetzigen Stunde
mitteilen?“
„Ich bitte dich darum!“
„So höre: Der alte, kühne Major, der mich heute so schwer anklagte
und noch schwerer beleidigte, soll nicht nur Oberst sein, sondern sogar
General. Sobald wir glücklich heimgekehrt sind, wird es mein erstes
sein, daß ich ihm diese Beförderung verkündige. Bist du zufrieden mit
mir?“
„Gott segne dich!“ antwortete ich, hocherfreut über diesen ebenso
großen wie schweren Sieg den er über sich selbst errungen hatte. „Ja,
Gott segne dich! In dieser einen Stunde, in der du hier gelegen hast,
fast ohne dich zu bewegen, hast du mehr
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