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25 - Ardistan und Dschinnistan II

25 - Ardistan und Dschinnistan II

Titel: 25 - Ardistan und Dschinnistan II Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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leider keineswegs. Ganz im Gegenteil! Seine
Zuversicht erschien mir ziemlich unbegründet und brachte ganz den
entgegengesetzten Eindruck hervor, nicht aber den, den er beabsichtige.
Ich sagte hiervon zwar nichts, nahm mir aber vor, meine gewöhnliche
Vorsicht zu verdoppeln und keinen einzigen Schritt zu tun, ohne ihn
vorher nach allen Seiten hin überlegt zu haben.
    Wir kamen an diesem Tag dreimal an Wasserrelais vorüber, einmal am
Vormittag einmal gerade zur Mittagszeit und einmal am Nachmittag. Wir
verhielten uns genauso wie gestern; wir sparten unser Wasser und
befriedigen unsere Bedürfnisse mit dem, welches bei diesen Posten
vorgefunden wurde. Je weiter wir heute kamen, um so zahlreicher wurden
die ausgestorbenen Zeugen einer einstigen, voll kräftigen Lebens
pulsierenden Kultur. Wir ersahen hieraus, daß wir uns der Residenz
jener alten Zeiten näherten. Das Land war wieder bergig geworden, und
als wir kurz vor Abend den breiten Rücken einer langsam ansteigenden,
aber sehr hohen Bodenwelle erreichten, sahen wir unser Ziel tief unten
vor uns liegen.
    Es ist einer anderen, geeigneteren Stelle vorbehalten, eine
ausführliche Schilderung dieser eigenartigen Totenstadt zu bringen; für
heut mögen einige kurze Bemerkungen genügen.
    Das Tal des verschwundenen Flusses strich hier genau von Nord nach
Süd; das jetzt ausgetrocknete Flußbett teilte es in zwei ungleiche
Hälften, eine östliche und eine westliche; die erstere, auf die wir
zunächst hinunterblickten, war bedeutend breiter als die andere. Sie
enthielt die eigentliche, ich will einmal sagen, die bürgerliche Stadt,
während der jenseits liegende Teil sich gleich dem ersten Blick als
Militärstadt, als Festung kennzeichnete. Wir sahen Hunderte von
Straßen, Gassen und Gäßchen mit Tausenden und aber Tausenden von
Tempeln, Kirchen, Moscheen, Palästen, Häusern und Hütten. Und das alles
machte einen ganz unbeschreiblichen Eindruck des Verlassenseins, der
Leblosigkeit, des Todes. Es gab keine Spur von Pflanzengrün, von Tier-
und Menschenleben. Und doch war der Ausdruck ‚Leblosigkeit‘ und ‚Tod‘
nicht ganz richtig. Das Wort ‚Schlaf‘ wäre vielleicht richtiger
gewesen, aber auch wieder nicht. Es gibt überhaupt keine vollpassende
sprachliche Bezeichnung für das Gefühl, welches mich wie mit mächtigen,
unwiderstehlichen Fäusten packte, als mein erstaunter Blick auf dieses
ungewöhnliche, starre, öde, leere Häusermeer fiel. Diese Gebäude
standen genau noch so da, wie sie vor Jahrhunderten gestanden hatten.
Fast nichts war zerstört. Nur die weit draußen liegenden Hütten der
Armut hatten sich in Trümmer, in formlose Haufen verwandelt, die aber
nicht etwa Staub und Erde bildeten, sondern hart wie Eisen waren.
    Und schön war sie gewesen, diese einstige Hauptstadt und Residenz
von Ardistan! Wenn ich mir die seltsam gestalteten Höhen, zwischen
denen sie lag, bewaldet und mit grünenden, blühenden Gärten
ausgestattet dachte, so fiel mir keine europäische Großstadt ein, von
der ich hätte sagen mögen, daß sie mit ihr zu vergleichen sei. Nun lag
sie da als Leiche! Nein, nicht als Leiche! Auch dieser Ausdruck ist
falsch! Richtiger wäre es vielleicht, an einen Winter ohne Schnee und
Eis, ohne Frost und Kälte zu denken, der alles Leben in die Tiefe
treibt, so daß jede Spur desselben verschwindet. Wenn aber die Schritte
des Frühlings von fern her schallen, dann steigt es wieder empor und
beginnt, in den Säften und im Blut von neuem zu pulsieren. Im
Blut – ja, das ist das Wort, welches der richtigen Bezeichnung
vielleicht näherkommt, als jedes andere. Diese Stadt lag vor uns wie
der ohnmächtig zur Erde gesunkene Körper eines schönen Weibes, aus
deren Angesicht jeder Tropfen Blut gewichen ist. Bleich, starr,
bewegungslos! Aber sobald das Blut aus dem Herzen zurückkehrt, wird die
Ohnmächtige aufspringen; ihre Augen werden leuchten, ihre Wangen
glühen, und durch die überstandene Ohnmacht wird sie uns nur noch
lieber und teurer werden, als sie uns vorher gewesen ist. So auch das
frühere Ard. Es brauchte nur das verschwundene Wasser wiederzukommen,
um alle diese jetzt leerstehenden Paläste wieder mit Menschen zu füllen
und ein neues, reineres und höheres Leben als vorher durch die Straßen
und Gassen pulsieren zu lassen. Die Sonne war bis nahe an den Horizont
herabgestiegen, und als sie ihre Strahlen jetzt über das Häusermeer
hinüberflimmern ließ, war es, als ob Bewegung in die starren Linien
käme und als ob unzählige der

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