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25 - Ardistan und Dschinnistan II

25 - Ardistan und Dschinnistan II

Titel: 25 - Ardistan und Dschinnistan II Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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vergeblich, wie um die Mittagszeit. Wir
eigneten uns an, was man uns verweigerte, und niemand wagte es, uns
etwa durch Tätlichkeiten davon abzuhalten. Daß die fünfzig Mann sich
überhaupt fern von uns zu halten hatten, ist bereits erwähnt. Sie taten
es. Auch ihr Anführer, der Major, hielt es nicht für erlaubt, sich zu
nähern. Der Mir war immer hinter uns geblieben und hielt sich auch am
Abend für sich allein, von uns entfernt. Er hatte schon zu Mittag nicht
gegessen und aß auch jetzt wieder nicht. Einige Schluck Wasser war
alles, was er zu sich nahm. Das tat mir weh. Ich stand von meinem Platz
auf und ging zu ihm hin. Er sah, als ich vor ihm stand, zu mir auf und
fragte:
    „Du kommst zu mir? Fürchtest du dich nicht?“
    „Fürchten?“ antwortete ich. „Nein!“
    „Aber scheuen mußt du dich doch! Vor mir bange sein! Vor mir schaudern. Vor mir zurückschrecken!“
    „Fällt mir nicht ein!“
    „So meinst du, daß der frühere Major, der jetzt plötzlich Oberst geworden ist, gelogen hat?“
    „Nein.“
    „Also glaubst du ihm?“
    „Ja.“
    Er wartete eine stumme Weile. Dann fragte er weiter:
    „So hältst du das, was er gesagt hat, für wahr, für richtig?“
    „In der Hauptsache, ja. Die Tatsachen an sich sind wahr, obgleich sie infolge seines Zorns vergrößert erscheinen.“
    Da zürnte er:
    „Wie fürchterlich aufrichtig ihr doch alle seid! So plötzlich! So mit einem Mal!“
    „Ich bin es stets!“
    Wieder sah er mich an.
    „Ja, du! Du warst es ja sofort, als du zum ersten Mal zu mir
sprachst!“ Und auf die Stelle gerade vor sich deutend, forderte er mich
auf: „Setze dich! Hierher!“
    Ich gehorchte dieser Aufforderung und ließ mich ihm gegenüber nieder. Als ich das getan hatte, sage er:
    „Ich bitte dich, als vollständig wahr anzunehmen, was ich dir jetzt
versichere! Ich habe niemals auch nur einen Augenblick lang geglaubt,
der herzlose, grausame Wüterich zu sein, als den ich mich nun jetzt
bezeichnen höre. Ich dachte, niemals Liebe gefunden zu haben, als nur
bei meiner Mutter, und selbst diese Mutterliebe ist mir nicht als ein
Verdienst erschienen, welches ich ihr anzurechnen habe, sondern als ein
angeborener Trieb, dem zu gehorchen ihre Pflicht gewesen ist. Diese
meine Mutter ist das einzige Wesen, welches ich wirklich geliebt habe
und auch heut noch liebe, und ich sage dir in aller Ehrlichkeit, daß
ich wunder geglaubt habe, wie lobenswert ich handle, indem ich so viel
Dankbarkeit für eine Frau empfinde, die meiner Ansicht nach nur aus
Naturzwang handelte, nicht aber aus eigenem, freiem Entschluß. Mein
Vater war ein scharf berechnender, strenger, ja sogar harter Mann, und
ich bin keineswegs geneigt, es nun mir als Sünde anzurechnen, daß diese
seine Eigenschaften auf mich übererbt worden sind. Hierzu kam bei ihm
jene Art von Grausamkeit, die den Nebenmenschen aus Vergnügen oder gar
aus Wollust peinigt. Auch ich kann, wie ich nun einsehe, grausam sein,
aber nur deshalb, weil ich den gewöhnlichen, niedrig geborenen Menschen
für gefühllos halte, für unempfindlich gegen Schmerzen, die uns höheren
Naturen unerträglich sind. Wie ein Knabe den Käfer, ein Fleischer sein
Schlachttier, ein Jäger sein Wild und ein Lastträger seinen Esel quält,
weil er überzeugt ist, daß diese Qual keineswegs als Qual empfunden
wird, so bin auch ich der Meinung gewesen, daß meine Strenge eben nur
als Strenge, nicht aber als Grausamkeit zu bezeichnen sei, weil es
niemanden gibt, dem sie so weh tut, wie sie mir weh täte, falls man sie
an mir verübte. Ich betrachtete alle diese Menschen, die so tief unter
mir stehen, als eine Herde von Schafen, durch deren Wolle kein Hieb zu
fühlen ist. Liebkose sie, so blöken sie, und schlage sie, so blöken
sie; es ist alles gleich! Führe sie auf die Weide, damit sie fressen
können; weiter wollen sie nichts! Umschließe sie des Nachts mit
schützenden Händen, damit sie nicht selbst gefressen werden, denn du
bist das einzige Raubtier, das sie, sobald sie fett geworden sind,
verzehren soll! Schere sie, so oft du willst! Dann schlachte sie, und
werde warm in ihrem weichen Pelz! Dazu sind sie da, zu weiter nichts;
du aber bist ihr Herr, der Mir, der Gebieter! Begreifst du das,
Effendi?“
    „Gewiß begreife ich es! Das alles wäre ja auch ganz richtig gewesen, wenn deine beiden Voraussetzungen richtig gewesen wären!“
    „Welche Voraussetzungen?“
    „Erstens die, daß der Käfer, das Schlachttier, das Wild und der Esel
die Schmerzen weniger

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