25 - Ardistan und Dschinnistan II
wurden. Noch keiner von
ihnen hatte aus eigenem Antrieb auch nur ein einziges Mal das Wort an
mich gerichtet. Ihr Verhältnis zu Halef schien freilich kein ganz so
schweigsames zu sein; dafür hatte er in seiner Weise gesorgt. Jetzt,
als sie ihm nach dem Engel folgen sollten, sahen sie mich fragend an,
ob ich es ihnen wohl erlaube. Ich schüttelte den Kopf:
„Ich bitte dich, zu bleiben, Halef. Du kannst jetzt nicht hin.“
„Warum nicht?“
„Weil der Mir dort mit dem Dschirbani und seinem Gefährten spricht.“
„Wir stören sie nicht. Wir gehen still an ihnen vorüber.“
„Schon euch nur zu sehen, würde eine Störung sein, würde die Rede
des Mir auf die innere Einrichtung des Engels lenken und ihn also von
der Hauptrichtung, in welcher seine Gedanken zu bleiben haben,
abbringen.“
„Hauptrichtung? Gedanken? Abbringen! Sihdi, ich verstehe dich nicht
ganz! Wenn ich einmal einen Gedanken habe, und dieser hat eine
Hauptrichtung, so möchte ich den Menschen sehen, der es fertigbringen
könnte, mich von meinem Gedanken oder meinen Gedanken von mir oder ihn
und mich, also uns alle beide, von der Hauptrichtung abzubringen. Aber
ich bin nun einmal dein wahrer Freund und Beschützer und werde also
auch diesmal tun, was du wünschst. Bleiben wir also hier. Ich lasse
dich nicht allein, Effendi!“
„Ich danke dir, Halef, für diesen deinen Schutz! Sobald es Tag
geworden ist, gibt es viel zu tun. Wir wissen nicht, was auf uns
wartet. Laßt uns Kräfte sammeln, indem wir schlafen!“
Ich ging zu Syrr, der sich auf meinen Wink niederlegte, um mir als
Schlafgefährte und Kopfkissen zu dienen. Ich streichelte ihn liebkosend
und schlief dabei ein, er wahrscheinlich auch. Als ich aufwachte, war
nicht nur die Nacht, sondern auch das Morgengrauen schon vorüber, und
der helle Tag kam zu der Stätte des einstigen Maha-Lama-Sees
hereingestiegen. Halef schlief noch, die beiden Ussul ebenso. Der Mir
fehlte. Der Dschirbani und der Prinz der Tschoban saßen beisammen und
sprachen leise miteinander. Ich stand auf, ging hin und setzte mich bei
ihnen nieder, nachdem ich aber vorher einen forschenden Rundblick auf
den Ort gerichtet hatte, an dem wir uns befanden.
Ich kann sagen, daß mich ein tiefes Staunen ergriff, ein ganz
eigenartiges heiliges oder vielmehr nur halb heiliges Grauen, denn
unter der feierlichen Einsamkeit und Stille, in der das alles lag,
lauschte grinsend der Gedanke hervor, daß in der Tiefe der heutigen
Gegenwart, also in der Vergangenheit, der unheimliche, fürchterliche
Bodensatz verborgen liege, aus dem die jetzige, tief ergreifende
Lautlosigkeit sich losgerungen hatte. Diese Stille kam mir nicht wie
die Stille des Todes, sondern wie die Stille nach überstandenen Qualen,
Martern und Leiden vor.
Der Platz des einstigen Sees war so groß, daß wir ihn grad noch
überschauen konnten, aber die Perspektive verkleinerte uns die uns
gegenüberliegende Seite derart, daß alles, was in unserer Nähe
hundertundfünfzig oder zweihundert Fuß hoch war, dort nur zwei bis drei
Meter hoch zu sein schien. Die Oberfläche der früheren, nun
ausgefüllten Tiefe bildete eine Fläche von der absoluten Ebenheit einer
Tischplatte. Nicht die geringste Erhöhung war zu sehen, natürlich den
Engel abgerechnet, der grad im Mittelpunkte stand. Um so höher und
steiler aber stiegen die Felswände auf, die, ohne auch nur die
kleinste, schmalste Lücke zu lassen, rundum emporragten wie
Riesenmauern eines aus dem grauesten Altertum übrig gebliebenen
Kolossalzirkus, dem nur die quadernen Sitze fehlten, nicht aber die
Raumausdehnungen für die blutigen Metzeleien zwischen Mensch und Tier,
um das Menschentier und den Tiermenschen zu belustigen. Es erschien mir
unmöglich, daß diese Felsenwände ihre absolute Ähnlichkeit mit einer
Mauer nur allein von der Natur erhalten hatten. Es gab nicht den
kleinsten Vorsprung, nicht die geringste Abweichung von der senkrechten
Fläche. Ganz unbedingt hatten hier Menschenhände nachgeholfen. Aber wie
viele, viele Tausend mußten das gewesen sein! Und wie man hier im
Innern bemüht gewesen war, ein Emporkommen an dem Felsen zu verhindern,
so sahen wir später, daß man auch auf der Außenseite jede Stelle
abgetragen und ungangbar gemacht hatte, an der es vielleicht möglich
gewesen wäre, von außen her über die hochgezackten, scharfen
Felsenzinnen hinüber nach dem See zu steigen.
Daß und wie und wie lange hier Menschenhände gewaltet, geschafft und
gearbeitet hatten, zeigte mir gleich schon
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