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25 - Ardistan und Dschinnistan II

25 - Ardistan und Dschinnistan II

Titel: 25 - Ardistan und Dschinnistan II Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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unter den Säulen einen Punkt, der
sich auf uns zu bewegte. Als er näher kam, sahen wir, daß es ein Mensch
war, in dem wir dann den Mir erkannten. Er hatte heut ein ganz
eigentümliches Gesicht. Es sah aus wie das Gesicht eines Hungernden,
eines Fakirs, eines Büßers. Seine Augen glühten. Seine Wangen waren
eingefallen. Seine Stimme hatte jenen halb heiseren Klang, den man als
‚belegt‘ bezeichnet. Er hatte Fieber; das sah ich ihm an, obgleich er
sich Mühe gab, es zu verbergen. Wir standen, als er uns erreicht hatte,
auf und begrüßten ihn. Er gab mir die Hand und sagte:
    „Eine Nacht wie die vergangene gab es für mich noch nie. Und der
Morgen ist noch rätselhafter und geheimnisvoller als sie. Gebt mir zu
trinken! Ich habe Durst.“
    „Das Wasser ist alle; wir müssen zum Engel“, antwortete ich. „Auch mußt du essen.“
    „Ich kann nicht!“
    „Du mußt! Wir alle müssen! Du bist verpflichtet dazu!“
    Er drohte mir mit dem Finger und antwortete, indem ein mattes Lächeln über sein Gesicht flog:
    „Du scheinst der Mir von Ardistan zu sein, nicht aber mehr ich!“
    „Ich meine es gut mit dir. Du aber kannst tun, was dir gefällt, auch
krank werden, gerade dann, wenn es nötig ist, möglichst stark, gesund
und rüstig zu sein. Es geht um deine Herrschaft, sogar beim Essen und
Trinken!“
    „Gut! Ich esse!“
    „So reiten wir zunächst nach dem Engel, um Wasser zu schöpfen. Du hast einen Rundgang gemacht. Wohl nur teilweise?“
    „Nein, sondern vollständig.“
    „Was fandest du?“
    „Nichts, was als Fund zu bezeichnen wäre. Der Platz ist öde und leer
und ohne die geringste Spur von pflanzlichem oder tierischem Leben.
Aber betroffen bin ich, im höchsten Grad betroffen über die Bauten, die
ich hier sehe! Konnte man so etwas ahnen? Konnte man so etwas für
möglich halten? Auch du wirst erstaunt sein, Effendi, aber nicht über
diese Felsenwerke und Säulen, denn du hast oft noch Größeres gesehen,
sondern über etwas ganz anderes, nämlich über mich und meine
Unwissenheit.“
    „Wieso?“
    „Ich bin der Fürst dieses Landes und habe doch von diesen
Riesenbauwerken nichts gewußt. Wird man dir das glauben, wenn du es in
deiner Heimat erzählst? Wird man es nicht lächerlich finden? Wird man
dich nicht für einen Lügner halten?“
    „Nein. Man wird eure Entwicklung, eure Geschichte, eure Verhältnisse
in Betracht ziehen. Man wird erwägen, daß es in lamaistischen Ländern
stets zweierlei Herrscher gab, einen weltlichen und einen geistlichen,
und daß beide ihre besonderen Interessen immer derart verfolgten, daß
jeder von ihnen so wenig wie möglich von dem, was der andere tat,
erfuhr. Und die Hauptsache: Die Wüste ist über euch hergefallen und hat
den besten und schönsten Teil deines Landes verschlungen, nicht nur die
räumliche, die geographische Wüste, sondern auch die geschichtliche,
die zeitliche; euch fehlt die Geschichte. Ihr habt nur noch Sage,
Örtlichkeiten und Bauwerke, die vor Jahrtausenden von dieser
geographischen und geschichtlichen Wüste verschlungen wurden, sind so
vollständig in Vergessenheit geraten, daß man sich ihrer nicht mehr
erinnert. Und die Teufelssage, die du mir erzähltest, hat das übrige
getan, den letzten Rest des Gedächtnisses auszuwischen. Als es nach
langen, grausamen Kämpfen deinen Vorfahren gelungen war, die Maha-Lamas
in kraftlose Schatten zu verwandeln, waren sie bemüht, nun auch noch
das geschichtliche Bewußtsein ihrer Taten auszustreichen. Der Teufel,
der den Maha-Lama betrog, wurde erfunden. Wer aber in Wahrheit die
Betrüger und die Betrogenen waren, das werden wir wahrscheinlich heut
noch sehen. Ich vermute sehr, daß das Volk es war, welches betrogen
worden ist, und zwar um eine Segnung sondergleichen, die dem alten Ard
das Leben erhalten hätte, selbst als der Fluß, wie die Sage erzählt,
nach seinem Ursprung zurückgegangen war. Die alten Maha-Lamas waren
Befreundete des Mir von Dschinnistan, der nicht wollte, daß Ardistan,
sein Nachbarstaat, nach und nach zur Wüste werde. Kennst du den Namen
des Maha-Lama, der nach der Sage jenen Pakt mit dem Teufel schloß?“
    „Ja. Er hieß Abu Schalem.“
    „Also Vater des Friedens! Dieser Name bestätigt meine Vermutung. Die
weltlichen Herrscher sind stets für den Krieg, die geistlichen für den
Frieden gewesen. Auch du bist für den Krieg. Der Mir von Dschinnistan
ist für den Frieden. Du hast den Krieg mit Gewalt herbeigeführt. Es
soll mich nicht wundern, wenn ich nach meiner

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