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25 - Ardistan und Dschinnistan II

25 - Ardistan und Dschinnistan II

Titel: 25 - Ardistan und Dschinnistan II Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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richtet! Man
verlangt von mir, daß ich nachdenken, daß ich die Lösung dieser Rätsel
finden soll, und man läßt mir doch nicht die nötige Zeit und Sammlung
dazu. Die Gedanken kommen nicht in der Weise und in der Masse wie die
Mücken aus der Pfütze. Man muß die Dinge auf sich wirken lassen, sonst
kann man sie nicht durchschauen und ergründen. So auch hier! Ich kann
nur dann auf die Besonderheiten und Heimlichkeiten, die wir entdecken
wollen, kommen, wenn es mir möglich ist, mich in die Zeit und in die
Menschen, um die es sich bei der Entstehung dieses Riesenbaues
handelte, hineinzudenken und hineinzufühlen. Ganz selbstverständlich
aber kann ich das nicht, wenn jemand, wie Halef, immerfort auf mich
einspricht.“
    Das war deutlich! Leider aber wurde der Wunsch, der in diesen meinen
Worten lag, vom Mir nicht verstanden, oder er beachtete ihn einfach
nicht. Der Gedanke, daß ich auch ihn, den Herrscher, damit meinen
könne, war ihm eine Unmöglichkeit. Er blieb bei mir und ritt mit mir
weiter.
    „Willst du noch einmal rundherum, Effendi?“ fragte er.
    „Ja“, antwortete ich. „Während unserer ersten Runde sprach man
immerfort auf mich ein. Ich kam zu keiner genauen Betrachtung, weder
mit dem äußerlichen noch mit dem innerlichen Auge. Das habe ich jetzt
nachzuholen.“
    „So bin ich neugierig, ob du jetzt nun findest, was du vorhin nicht
gefunden hast. Es wäre ja mehr als bedauerlich, wenn wir uns hier
mitten unter den wichtigsten Geheimnissen befänden, ohne ein einziges
von ihnen zu enthüllen. Du sprichst nicht nur vom äußerlichen, sondern
auch vom innerlichen Auge. Was du hier in diesem Fall damit meinst, das
verstehe ich nicht ganz, sondern nur halb; aber ich nehme an, daß dir
dein Suchen leichter würde, wenn dir die Verhältnisse, unter denen
diese Riesenwerke entstanden, bekannter wären, als sie es dir sind. Ich
glaube, zu dieser besseren Bekanntschaft einige Beiträge liefern zu
können. Ich habe dir nämlich ein Geständnis zu machen, ein Geständnis,
welches sich auf die unversöhnliche Feindschaft zwischen meinen
Vorfahren und den alten Maha-Lamas bezieht. Die weltlichen Herrscher,
also meine Ahnen, sind aus diesen erbitterten Kämpfen stets als Sieger
hervorgegangen, und mehrere geistliche Herrscher haben das mit dem
Leben bezahlen müssen. Ich bin heut früh, als ich beim Tagesgrauen an
diesen Säulen vorüberschritt, mit mir zu Rate gegangen, ob ich dir
davon erzählen soll oder nicht. Du bist mein Gewissen geworden. Du
kannst mein Herz beschweren und kannst es wieder entlasten. Will ich
meine Fehler erkennen, so frage ich dich, denn du bist wahr und
gerecht; du verschweigst mir keinen einzigen, und du bist bei aller
Strenge doch mild, denn du läßt mich stets den guten Zweck und das
heilsame Ziel dieser Strenge erkennen. Und will ich die Fehler meiner
Vorfahren ermessen, so habe ich dir alles zu berichten, was ich von
ihnen weiß. Du wirst mir sagen, ob es auch für das, was sie taten,
einen guten Zweck und ein heilsames Ende gibt oder nicht.“
    Da antwortete ich:
    „Dieser Zweck liegt tiefer, als unsere sterblichen Augen reichen, und dieses Ende ist nur in deine eigene Hand gelegt.“
    „In die meinige?“
    „Ja, denn du bist der Träger deines Stamms. Auf dir lastet alles
Verborgene, was deine Ahnen zu Berge häuften, das Gute und auch das
Böse. Wir Christen wissen, daß Gott alles herrlich hinausführt. Die
Torheit der Menschen kann die Ausführung seines Ratschlusses höchstens
erschweren und verzögern, nicht aber verhindern. Und ein einziger
Fürst, der zur Einsicht kommt, ist imstande, die Irrungen einer ganzen
Ahnenreihe zum guten Schluß zu leiten und dadurch den Fluch des
Weltgerichts in Verzeihung und Segen zu verwandeln.“
    „Oh, könnte ich das!“ rief er aus, die Hände zusammenschlagend, wie
man zu tun pflegt, wenn man seinem Wunsch einen recht, recht herzlichen
Nachdruck geben will.
    „Du kannst, wenn du willst! Nur wollen, wollen, wollen!“
    Da richtete er sich hoch im Sattel auf, hob die Hand wie zum Schwur empor und beteuerte:
    „Ich will; ich will! Effendi, ich werde dir erzählen; ich werde dir
beichten. Du sollst alle Sünden, die an dem Volk von Ardistan begangen
worden sind, erfahren, soweit ich sie selbst kenne. Und zwar sofort!
Ich bin dir deshalb nachgeritten. Es muß von meinem Herzen herunter.
Ich erfuhr das alles von meiner Mutter. Sie war die einzige, die mich
liebte, und sie war auch die einzige, die mich über die Taten der
Herrscher

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