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25 - Ardistan und Dschinnistan II

25 - Ardistan und Dschinnistan II

Titel: 25 - Ardistan und Dschinnistan II Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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schnell anders denken als bisher, zumal ich bei
aufmerksamerer Betrachtung bemerkte, daß der Stein in den innersten
Strahlenwinkeln glattgeschliffen worden war. Die Sonne hatte sich also
früher bewegt, und zwar sehr oft. Aber wie, in welcher Richtung und zu
welchem Zweck? Sollten vielleicht die beiden Buchstaben angebracht
worden sein, um hierüber Aufschluß zu geben? Höchstwahrscheinlich! Sie
waren jedenfalls Anfangsbuchstaben von bestimmten Worten. Ich dachte an
verschiedene, die ich aber schnell wieder verwarf, bis ich auf Tuluh
und Ghoruhb kam. Tulu esch Schems heißt nämlich Aufgang und Ghoruhb
esch Schems heißt Untergang der Sonne: Die wirkliche Sonne bewegt sich
vom Aufgang nach dem Untergang. War hieraus etwa zu schließen, daß man
hier diese künstliche, diese bronzene Sonne von dem Buchstaben Ta nach
dem Buchstaben Ghain zu bewegen, zu schieben, zu drehen hatte? Ich
versuchte es. Es wollte nicht gehen, aber nur des Staubes wegen, der
sich zwischen dem Stein und dem Metall angesammelt hatte. Als ich den
Versuch mit stärkerem Klopfen und energischem Rütteln wiederholte,
lockerte sich der Staub, und indem er streuend zur Erde niedersiebte,
wurde das Hindernis entfernt, und die Sonne begann, sich zu bewegen.
Ich konnte sie wie ein Rad um ihre eigene Achse drehen, und indem ich
dieses tat, hörte und fühlte ich zu gleicher Zeit, daß hierdurch ein
Riegel zurückgezogen wurde. Der große, mächtige Quader wich von seiner
Stelle, und zwar in genau derselben Weise wie der Stein am Ende des
Kanales, nämlich nach innen, auf Geleisen, mit Hilfe von zwei
Plattenunterlagen, deren erste sich senkte und deren zweite sich dann
hob, um den rollenden Stein zum Stehen zu bringen.
    „Maschallah, Wunder Gottes!“ rief der Mir aus, als die verborgene
Tür sich plötzlich vor uns öffnete. „Fast bin ich erschrocken! Wie hast
du das gefunden? Bist du allwissend, Effendi?“
    „Nichts weniger als das!“ lachte ich, über diesen glücklichen Erfolg
erfreut. „Die ganze Allwissenheit besteht darin, daß man seine Gedanken
nicht auf falsche sondern auf richtige Wege leitet; da kommt man zum
Ziel. Treten wir ein!“
    Indem ich diese Aufforderung aussprach, trat ich durch die nun
offene Tür in das Innere. Der Mir folgte. Der Raum, in dem wir uns nun
befanden, war ziemlich groß. Als wir uns da umschauten, sahen wir, daß
ich recht gehabt hatte, als ich vorhin annahm, wenn es hier eine Stube
oder so etwas Ähnliches gebe, werde sie wohl mit einer Portierloge oder
Hausmannsstube zu vergleichen sein. Es gab da wirklich alles, was wir
brauchten, nämlich alle möglichen Werkzeuge und, Gott sei Dank, auch
die Schlüssel, die wir suchten. Es waren fünfzehn Stück. Sie hingen an
der Wand, mit chinesischen Ziffern numeriert. Auch sie hatten die Form
von Messern, deren Griff zum Drehen eingebogen werden konnte, so daß
sie die Gestalt einer Kurbel annahmen. Die Klingen, welche aus
stahlharter Bronze bestanden und vorn nach der Spitze zu immer schmaler
wurden, waren eine jede neunmal quer eingekerbt, so daß zehn
voneinander getrennte Schlüsselbärte entstanden, die mit arabischen
Nummern bezeichnet waren. Da keine dieser Schlüsselklingen der andern
an Länge und Breite glich, so konnte man mit diesen fünfzehn Messern
zehnmal fünfzehn, also hundertundfünfzig Türen öffnen, wenn man nur
wußte, welcher Schlüssel zu der betreffenden Türe gehörte und wie tief
er in das Schlüsselloch gesteckt werden mußte. Indem ich mir dies
vergegenwärtigte, erkannte ich plötzlich den Zweck der Nummern, die wir
an den Säulen gesehen hatten. Die chinesische Ziffer bezog sich auf die
Nummer des betreffenden Schlüssels, und die arabische auf die Nummer
des Bartes, der die richtige Form besaß, den Riegel zu fassen. Zu jeder
numerierten Säule gehört die auf sie folgende Tür. Diese Entdeckung war
so unendlich wichtig, daß ich keinen Augenblick zögerte, zu probieren,
ob sie sich bestätigen werde. Ich nahm das Messer, dessen chinesische
Nummer draußen an der nächsten Säule angegeben war, ging an den hierzu
gehörigen Türstein und entfernte den Staub aus dem Schlüsselloch. Die
arabische Nummer war arb'a; das bedeutet vier. Ich steckte die Klinge
also bis zum vierten Bart in das Loch und drehte dann. Es gelang. Kaum
war die Drehung vollendet, so bewegte sich der Stein nach innen, und
zwar so schnell, daß ich fast darüber erschrak. Der Mir aber, der mir
gefolgt war, rief aus:
    „Auch hier kannst du öffnen? Mensch, ich beginne

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