25 - Ardistan und Dschinnistan II
mich vor dir zu fürchten! Und dabei bist du so still und sagst kein Wort!“
Ich hatte mich allerdings schweigsam verhalten, um mich mit meinen
Gedanken ungestört beschäftigen zu können. Ich antwortete auch jetzt
nicht, sondern begab mich in den vorigen Raum zurück, um meine
Untersuchungen dort fortzusetzen. Die Werkzeuge befanden sich alle in
bestem Zustand. An der Wand hing, auf chinesischen Stoff gezeichnet,
ein ausführlicher Plan des ganzen, hiesigen Baus, zu beiden Seiten zwei
Teilpläne von der südlichen Hälfte desselben, auf der wir uns jetzt
befanden. Andere Pläne, Verzeichnisse und ähnliche Schriften lagen auf
einem großen Tisch, der in der Mitte des Raums stand. Sie und noch
vieles andere interessierte uns jetzt aber nicht. Wir verließen also
für jetzt diesen Ort und stiegen zu Pferd, um quer über den freien
Platz hinüber nach der andern Seite zu reiten, wo es auch zwei nicht
numerierte Säulen gab, zwischen denen ein ähnlicher Raum wir der, den
wir hier entdeckt hatten, zu vermuten war. Diese Vermutung erwies sich
als richtig. Wir fanden eine ganz gleiche Sonne, und es stellte sich
heraus, daß sie sich ebenso bewegen ließ. Der Stein wich zurück, und
wir betraten einen Raum von genau derselben Lage und Größe wie der
gegenüberliegende. Auch seine Einrichtung war dieselbe. Dieselben
Werkzeuge und Gerätschaften, dieselben Pläne an der Wand und auch
dieselben Schlüssel, fünfzehn Stück, chinesisch numeriert, mit je zehn
arabisch numerierten Bärten. Es gab also hier auf der Nordseite wie
auch drüben auf der Südseite je hundertfünfzig Räume, in Summa
dreihundert. Wozu sie bestimmt waren, sagten uns mehrere größere und
kleinere Pläne, die auf dem Tisch lagen. Zu meinem Erstaunen sah ich da
verzeichnet; viele Kammern für Reis, viele Kammern für Bohnen, viele
Kammern für Weizen, viele Kammern für Manna, viele Kammern für Leder,
Kleiderstoffe und Vorräte aller andern Art. Es war für alles gesorgt,
was für des Leibes Nahrung und Notdurft unerläßlich ist, nur nicht für
Waffen, nur nicht für den Krieg, sondern nur allein für den Frieden. Es
gab Wohnungen für Ober- und Unterbeamte. Es gab Arbeitssäle. Es gab
Kranken- und Begräbnisräume, und es gab sogar einen Tempel. Auch sahen
wir zwei Beratungssäle verzeichnet, die sehr groß zu sein schienen. Sie
waren auf dem Plan eingetragen, als ‚Dschema für die Lebenden‘ und
‚Dschema für die Toten‘. Unter Dschema versteht der Beduine einer
Gerichtssitzung, eine Beratung der Stammesältesten. Was die Ausdrücke
‚Tote‘ und ‚Lebende‘ zu bedeuten hatten, konnten wir jetzt nicht
wissen; wir hofften, es noch zu erfahren. Jetzt galt es, zunächst
unsere Gefährten zu benachrichtigen, und dann einen Rundgang durch die
sämtlichen Räume zu unternehmen, und dieses in seiner Art einzige
Bauwerk wenigstens einigermaßen kennenzulernen. Wir nahmen also einen
der Pläne und die Schlüssel zu uns und ritten dann nach der Stelle
zurück, an der unsere Kameraden auf uns warteten. Als Halef uns kommen
sah, rief er uns schon von weitem zu:
„Sihdi, ich habe an deiner Stelle nachgedacht, aber nichts gefunden.
Wer soll das ausführen? Du oder ich? Ich glaube, du läßt es mir über,
weil ich doch –“
Er hielt inne, sprang aus seiner sitzenden Stellung auf und fuhr dann in einem ganz anderen Ton fort:
„Hamdullillah! Du hast etwas gefunden! Ich sehe es dir an! Ich kenne
dich! Wenn es um deine Augenwinkel in der Weise zuckt wie jetzt, da
kann man zufrieden mit dir sein. Ich kenne dich genau!“
„Ja, wir können zufrieden mit ihm sein; das ist richtig“, bestätigte
der Mir, indem wir von den Pferden sprangen. „Dein Effendi ist ein
unbegreiflicher Mensch, fast ebenso unbegreiflich wie dieses
Riesengebäude, in dessen Inneres man so schwer zu dringen vermag. Er
aber hat die Schlüssel alle entdeckt!“
„Hat er sie?“
„Ja!“
„Ist das wahr, Sihdi?“
Ich nickte und rasselte mit den fünfzehn Schlüsseln, die ich in den Händen hatte.
„Das sind sie? Wie Messer geformt? Also wieder Messerschlüssel! Kannst du öffnen?“
„Werden gleich sehen!“
Mit diesen Worten ging ich zu dem ersten Türstein, dessen
Schloßöffnung wir entdeckt hatten, und probierte den Schlüssel, dessen
Nummer an der Säule zu lesen war. Er öffnete. Der Stein wich zurück, in
das Innere des Raums hinein. Als wir folgten, sahen wir diesen Raum von
unten bis oben von festen, starken, geflochtenen Schilfsäcken
angefüllt, die alle
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