25 - Ardistan und Dschinnistan II
Reis enthielten, den schönsten, besten Reis, den
man sich wünschen konnte. Wie lange lag er da? Wie viele, viele
Jahrhunderte? Mußte er da nicht längst schon verdorben und ungenießbar
geworden sein? Aber die Luft, in der wir uns befanden, war vollständig
trocken und außerordentlich rein. Die schon einmal erwähnte
Ventilierung schien eine außerordentlich wohldurchdachte und gute zu
sein. Und der Reis verbreitete jenen eigentümlichen, wohltuenden Duft
nach frischer Ernte, welcher ein untrügliches Zeichen seiner Güte ist.
Wir staunten. Das waren Tausende von Säcken! Denn im Hintergrund ging
eine Treppe tief hinab, und als wir nachschauten, sahen wir den unter
uns liegenden Raum ganz ebenso gefüllt wie den, in dem wir uns
befanden. Der Mir war sehr ernst geworden. Er legte seine Hand an
meinen Arm und sagte: „Besinnst du dich, Effendi, daß du mich einmal
fragtest, was ich für mein Volk getan habe? Ob ich Vorratshäuser
angelegt habe?“
„Ja“, antwortete ich.
„Ich habe keine angelegt. Der aber, der dieses Bauwerk schuf, hat es
getan. Lache nicht über mich, wenn ich dir sage, das mich der Anblick
dieser Fülle anklagt, dieser Duft nach Nahrung und Sättigung!“
„Ob dieser Reis wohl noch genießbar ist?“
„Ganz unbedingt! Je älter er ist, desto besser hat er sich erhalten.
Es gab im Altertum eine Zeit, in der man es verstand, jeder
Getreidefrucht eine Haltbarkeit für Tausende von Jahren zu verleihen.
Derartiges Getreide behält für immer den jungen, frischen Ernteduft.
Ich bin überzeugt, daß hier der Reis von dieser Sorte ist. Man besaß
damals sogar eine Feuchtigkeit, durch welche man die Körper der
Verstorbenen unzerstörbar machte und sie genau in dem Zustand erhalten
konnte, in dem sie sich in der letzten Stunde ihres Lebens befunden
hatten.“
Wahrscheinlich hatte er recht. Es gibt Entdeckungen früherer Zeiten,
die wir nun wieder zu entdecken haben, weil sie inzwischen
verlorengegangen sind. Man braucht nur an das Rubinglas zu denken. Auch
die Zusammensetzung der Flüssigkeit, in der man Leichen badete, um sie
für immer zu erhalten, ist verlorengegangen. In neuerer Zeit aber
scheint sie in Italien wieder entdeckt worden zu sein, wenn man den
Zeitungen glauben darf, die hierüber berichten.
Wir gingen nun von Raum zu Raum. Das öffnen der Tür gelang bei ihnen
allen, ohne Ausnahme. Über zwanzig von ihnen waren nur allein mit Reis
gefüllt, ebensoviele mit Manna, Weizen, Bohnen, Linsen und andern, mir
aber unbekannten Leguminosenarten. Ich habe bereits gesagt, daß ich die
‚Stadt der Toten‘ bei einer andern Gelegenheit ausführlich beschreiben
werde. Das bezieht sich auch auf den Gigantenbau am einstigen
Maha-Lama-See. Für heut und hier genügen einige kurze, allgemeine
Andeutungen und die Hervorhebung nur derjenigen Örtlichkeiten, die für
unsern diesmaligen Aufenthalt uns wichtig erschienen.
Vor allen Dingen gilt es, zu sagen, daß wir zwei volle Tage brauchten, um, wenn auch nur im schnellsten Tempo, uns jeden der dreihundert Räume anzusehen. Die Mahlzeiten hielten wir im Freien. Zum Kochen, Backen und Braten gab es Töpfe, Geschirr, Brennholz und Holzkohle mehr als genug. Ursprünglich hatten wir weder die Zeit noch die Absicht zu einem so langen Aufenthalt. Es gab tausend Gründe, besonders politische und kriegerische, die uns zur größten Eile mahnten. Das Land war ohne Herrscher und das Heer der Ussul und der Tschoban ohne Anführer. Die Fahne der Empörung flatterte; vielleicht herrschte gar schon Anarchie! Aber grad die beiden Personen, welche die größte Veranlassung zur Besorgnis hatten, nämlich der Dschirbani und der Mir, fühlten sich derart von dem geheimnisvollen Ort, an dem wir uns befanden, gefesselt, daß sie erklärten, ihn nicht eher verlassen zu wollen, als bis es ihnen gelungen sei, sich wenigstens oberflächlich zu orientieren. Sie empfanden und erkannten, daß ihre beiderseitigen Lebenswege hier an der Pforte einer Entscheidung oder einer Zukunft zusammengetroffen waren, die ihnen unendlich mehr bot, als sie selbst im ungünstigsten Fall an den ‚Panther‘ und seine Verschworenen verlieren konnten. Und sonderbarerweise, sie gingen immer nebeneinander, und sie standen immer beieinander. Sie hatten ein Wohlgefallen aneinander gefunden, welches von Stunde zu Stunde offener und wohltuender hervortrat. Ich störte sie so wenig wie möglich, und da sich Sadik, der schweigsame Prinz der Tschoban, meist zu den beiden Prinzen der Ussul hielt, so
Weitere Kostenlose Bücher