25 - Ardistan und Dschinnistan II
für unbedingt nötig, mir diese Mitteilung zu machen?“
„Ja unbedingt. Du wirst mir darin, sobald du es erfahren hast, recht geben. Diese Angelegenheit ist nämlich in ein höchst bedenkliches Stadium getreten. Das Geheimnis steht vor der Schwelle der Öffentlichkeit. Es ist bedroht, Gemeingut zu werden. Es hiervon zu bewahren, bin ich zu schwach. Ich bedarf deiner Hilfe, und die kannst du mir nur dann leisten, wenn du ebenso eingeweiht bist wie ich selbst.“
„So darf ich dich nicht hindern, dich offen auszusprechen. Doch, ehe du dieses tust, bitte ich dich, mir zu sagen, woher du die Stellen aus unserem heiligen Buch kennst, die wir vorhin aus deinem Mund hörten!“
„Sie sind ein Weihnachtsgeschenk.“
„Von wem?“
„Von deinem und meinem Freund, dem Basch Nasrani, dem Oberpriester aller Christen meiner Länder. Er hat viele solche wichtige Aussprüche der Bibel für mich abgeschrieben und sie mir gebracht. Er sagte, dies sei der Dank des Heilands dafür, daß ich seinen Gläubigen erlaubt habe, sein Geburtsfest in Ard zu feiern. Die Sprüche gefielen mir sehr. Ich las sie sehr oft durch. Und wenn der Basch Nasrani bei mir war, mußte er mir ihren Sinn und ihren Inhalt erklären. Er war der Meinung, daß aus ihnen mein eigenes Glück und Wohl und auch das Glück meines Reiches wachsen könne. So lernte ich sie auswendig und dachte viel, sehr viel über sie nach. Und als dein Halef dir Koranverse versprach, hielt ich es für besser, dir Sprüche aus diesem meinem Schatz zu geben. Ich glaubte, dich damit zu erfreuen.“
„Das ist auch geschehen, wirklich geschehen. Es ist keine kleine und keine gewöhnliche Freude, die du mir damit gemacht hast. Darum wünsche ich aufrichtig, dir in Beziehung auf dein Familiengeheimnis von Nutzen sein zu dürfen. Ich bitte dich nun, es mir mitzuteilen.“
Es war wirklich so, wie ich sagte: ich freute mich herzlich. Der alte, liebe, gute Basch Nasrani hatte Mission getrieben, ohne daß ich es ahnte. Und seine stille geräuschlose Tätigkeit hatte größere und reichere Früchte gebracht, als er selbst vielleicht für möglich gehalten hatte. So schnell! In dieser kurzen Zeit! Daß dies auch dem ganzen Land von Segen sein werde, verstand sich ganz von selbst. Jetzt saß ich mit dem Mir so, daß wir nach Norden schauten. Die dort auf- und niederwallenden Gluten berührten sein Gesicht mit einem leisen, wannen, verklärenden Schein. Er sprach: „Welch ein Jahr ist das jetzige! Sollte es wirklich jenes große, seit Jahrtausenden vorherverkündete Jahr sein, in welchem die Engel des Paradieses hervortreten dürfen, um zu bestätigen, daß der Friede sich naht und die Völker sich nicht mehr hassen, sondern lieben und achten werden. Weißt du, Effendi, daß jeder Mir von Dschinnistan stets für, jeder Mir von Ardistan aber gegen diesen Frieden gewesen ist?“
„Ich weiß es“, antwortete ich.
„Daher die immerwährende Feindschaft zwischen diesen Herrschern. Und diese Feindschaft war um so größer und spaltete um so tiefer, als wir von Ardistan glaubten, unsere Feinde hassen zu müssen, während die von Dschinnistan sich für verpflichtet hielten, uns trotz dieses unseres Hasses zu lieben und Gutes zu erweisen. Es war für uns empörend, und wir hielten es für die größte aller Schanden und Beleidigungen, von denen, die wir unablässig befeindeten, immer nur Wohltaten und Verzeihung zu erhalten. Kannst du diesen unseren Grimm begreifen?“
„Leider nur zu gut!“
„Und kannst du dir denken, daß es für gewisse stolze Naturen geradezu fürchterlich ist, Gnade und Barmherzigkeit nehmen zu müssen, wo man innerlich darauf brennt, doch endlich auch einmal auf männlichen Zorn und rächende Kraft zu stoßen?“
„Ja; auch mir ist das begreiflich!“
„Und bist du vielleicht so vernünftig oder so unvernünftig, einzusehen, daß wir den Mir von Dschinnistan und alle, die zu ihm gehören, wegen ihrer ewigen, entsetzlich ermüdenden Liebe, Güte, Gnade, Geduld, Langmut, und wie das alles genannt wird, gründlich verachteten?“
„Wenn man die größte Macht und Stärke, die es im Himmel und auf Erden gibt, nämlich die Liebe, für Unfähigkeit und Schwachheit nimmt, so ist es gar nicht so schwer, auf diese Verachtung zu kommen. Aber sag, verachtest du noch?“
„Bis vor kurzem, ja. Da aber kamt ihr mit eurem Weihnachtsfest. Da kamst du mit deiner absoluten Furchtlosigkeit. Da kam dein Halef mit seiner siegreichen Anhänglichkeit und Treue. Da kam der Basch
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