25 - Ardistan und Dschinnistan II
vollständig durchsichtigen, außerordentlich glasähnlichen Stoff näher zu untersuchen, war bisher unmöglich gewesen, weil die Fenster zu hoch lagen, als daß sie von uns erreicht werden konnten. Nun aber, hier im Tempel, ging ich die Spiralempore hinauf, bis ich das erste Fenster erreichte, und da sah ich denn, daß es eine Art von Kaliglimmer, vielleicht Muskovit war, der, wahrscheinlich auf eine mir unbekannte Weise noch extra zubereitet, vollständig die Stelle des lichtdurchlässigsten Glases vertrat. Das reichte aber selbst am Tage nicht aus, den gewaltigen und außerordentlich hohen Raum des Tempels zu erhellen. Daher die vielen Lichter.
Es war wohl selbstverständlich, daß in uns der Wunsch entstand, auf der rundum gewundenen Empore bis zur Spitze hinaufzusteigen. Wir taten es. Das heißt, zunächst taten es nur die andern, denn ich blieb noch unten, um einige akustische Proben zu machen. Nachdem ich sie instruiert hatte, wann und wie sie mir zu antworten hatten, begannen sie ihren langsamen Kreiselweg. Ich nenne ihn langsam, weil sie im Hinaufsteigen sämtliche Lichter anbrannten, eines immer am andern. Das hielt sie auf. Ich sprach mit ihnen. Sie antworteten. Aber je höher sie kamen, desto leiser wurden ihre Antworten. Endlich hörte ich sie gar nicht mehr. Nun rief ich ihnen mit verdoppelter Stärke meiner Stimme Fragen zu, deren Antworten ich ihnen eingeprägt hatte. Vergebens. Sie gaben diese Antworten, aber ich hörte sie nicht. Das machte einen ganz eigenartigen, unbeschreiblichen Eindruck auf mich. Ich sah, wie die Zahl der brennenden Lichter wuchs. Ihre Linie wurde immer länger und länger und stieg immer höher und höher, bis sie die Spitze des Tempels erreichte. Wie ich später erfuhr, drang meine Stimme mit größter, reinster Deutlichkeit bis dort hinauf; das aber, was sie erwiderten, mußte oben bleiben; es konnte nicht herunter zu mir. Um mich gab es nur tiefes, lautloses Schweigen. War das vielleicht eine gewollte Symbolik derer, die einst diesen Tempel aus dem toten Felsen schlugen? Ich glaubte, dies bejahen zu müssen, denn man unternimmt kein so schwieriges, zeitraubendes Werk, ohne über die Wirkung desselben nachgedacht zu haben. Ich aber beeilte mich, der mich beklemmenden Lautlosigkeit zu entgehen und stieg meinen vorangegangenen Gefährten nach.
Es war inzwischen draußen Abend geworden. Darum befand ich mich hier unten im Innern des Tempels nicht nur in vollständiger Stille, sondern auch in ebenso vollständiger Dunkelheit. Aus dieser Finsternis stieg grad von da aus, wo ich stand, die Lichterlinie empor, einen immer weiter aufwärts dringenden, sich scheinbar unendlich oft wiederholenden und doch niemals zu sich selbst zurückkehrenden Kreis beschreibend. Daß dieser Kreis immer kleiner und enger wurde, kam mir nicht als Wirklichkeit, sondern wie eine optische Täuschung vor und verdoppelte, verzehnfachte, ja, verhundertfachte die wirkliche Höhe des Tempels. Es war, als sei er mitten in den Himmel hineingebaut und als könne man von Licht zu Licht bis direkt vor Gottes Thron gelangen. Und diesen Weg stieg ich jetzt hinauf!
Je höher ich stieg, desto mehr wurden die Lichter unter mir; aber ich schaute absichtlich nicht hinab; ich schaute nur nach oben, um mir die spätere, bessere Wirkung nicht schon im voraus zu verderben. Oben angekommen, sah ich, daß es eine Öffnung nach außen gab, und als ich hinaustrat, befand ich mich mit meinen Gefährten auf einer Felsenplatte, die, wie ich selbst jetzt, des Abends, bemerken konnte, eine außerordentlich weite Fernsicht bot. Die Tür, welche aus der Spitze des Innentempels heraus auf diese Platte führte, war unverschließbar. Sie bestand einfach aus einem Stein, der auf- und zugeschoben werden konnte.
„Da kommst auch du!“ sagte Halef, als er mich sah. „Hast du gehört, was wir hinabriefen?“
„Nein“, antwortete ich.
„Und wir haben doch förmlich gebrüllt! Wir verstanden jedes Wort von dir. Was du sagtest, das klang so laut und eindringlich, wie eine einzelne Stimme einer Orgel oder wie eine Posaune. Willst du es nicht auch einmal hören? Soll ich hinuntersteigen und zu dir heraufsprechen?“
„Ja, tue es“, antwortete ich.
„Schön! Ich werde dir einige Stellen aus dem Koran sagen, etwas recht Feierliches und Ernstes, wie es sich für dieses Gebäude, welches ein Tempel ist, schickt.“
Da fiel der Mir ein:
„Aus dem Koran? Ist dein Effendi denn ein Mohammedaner? Er soll Anderes und Besseres hören! Du
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