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25 - Ardistan und Dschinnistan II

25 - Ardistan und Dschinnistan II

Titel: 25 - Ardistan und Dschinnistan II Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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kannst hier oben bleiben, denn ich selbst gehe hinab. Ich werde ihm etwas heraufsagen, was besser für diese ergreifende Stätte paßt als das, was er von Mohammed hören könnte. Wir befinden uns an einem wunderbaren Ort; ich fühle es. Darum darf hier auch nur wirklich Heiliges, nur wirklich Edles und nur wirklich Wahres und Großes gesprochen werden!“
    Er ging. Daß er, der Höchste von uns allen, mir diesen Dienst erweisen wollte, war jedenfalls nicht äußerlich, sondern tief innerlich begründet. Dieser Felsentempel hatte ihn ergriffen, hatte auf ihn gewirkt, und diese Wirkung bestand in dem Wunsch, nun auch uns ergreifen zu können. Darum stieg er hinab in die Dunkelheit, um aus ihr zu uns heraufzusprechen. Aber was wollte er uns sagen? Nichts aus dem Koran, sondern etwas Besseres, Edleres und Heiligeres. Was konnte das sein? Er war doch nicht Christ!
    Von der Höhe dieser Platte aus sahen wir den nördlichen Himmel genauso flammen und glühen, wie ich es gesehen hatte, als ich auf dem Tempel von Ussula saß. Und es wirkte hier, wo wir uns inmitten der Wüste und des Todes befanden, seelisch noch ergreifender als dort. Wie innig standen wir mit diesen Flammengluten in Verbindung! Sie waren es ja, die unseren Brunnen speisten; sie waren unsere Lebensretter! So führen feste, wohltätige Fäden im Menschenleben aus der Unbegreiflichkeit in das Begreifliche, vom Himmel zur Erde, vom Schöpfer zum Geschöpf – und wieder zum Schöpfer zurück, sobald wir nur wollen! Wir traten von der Platte nun in das Innere des Tempels zurück, um den Augenblick, in dem der Mir zu sprechen begann, nicht zu versäumen. Wir setzten uns nieder und warteten still. Dann verging eine lange, lange Zeit. Er mußte schon längst unten angekommen sein und sagte noch immer nichts. Das machte meine Gefährten ungeduldig ich aber konnte es wohl begreifen. Es war der Anblick des Tempels, der ihn jetzt noch mehr ergriff als vorher. Er fühlte sich innerlich überwältigt. Es gingen Dinge in ihm vor, die ihn so ganz und gar für sich in Anspruch nahmen, daß wir vor ihnen weichen mußten. Es war überhaupt eine ganz wunderbare Fügung des Himmels, welche den Mir gezwungen hatte, unter den gegenwärtigen Umständen nach der ‚Stadt der Toten‘ zu gehen. Schon unser Weihnacht hatte ihn gepackt, die Liebe und die Güte, die Gnade und Barmherzigkeit. Hier kam der Ernst dazu, der gewaltige und drohende Ernst der Jahrhunderte und Jahrtausende. Ich habe schon einmal die ‚Geisterschmiede von Kulub‘ erwähnt, in welcher die Menschenseelen gehämmert, gestählt und geschmiedet werden. Der Mir befand sich jetzt in diesem psychischen Kulub, in dieser Geisterschmiede, und es war mir von höchstem Interesse, zu erfahren, mit welchem Erfolg oder Mißerfolg er sie verlassen werde. Die gewundene Linie der flackernden Lichter führte hinunter zu ihm. Er stand da, wo sie begann, und schaute herauf zu uns, ohne uns aber zu sehen. Was wird er sagen? Jedenfalls doch irgendein Wort, welches das enthält, was ihn in diesen Augenblicken bewegt! Gerade als ich das dachte, erhob sich in der finstern Tiefe eine Stimme, welche klang, als ob sie aus ganz andern Welten stamme und auch zu ganz andern Welten spreche als nur zu unserer kleinen, unbedeutenden Erde und zu uns paar armseligen Menschen. Langsam, deutlich, hehr und gewichtig, wie Glocken oder Posaunentöne, stiegen die Worte zu uns herauf:
    „Wo soll ich hingehen vor deinem Geist? Und wo soll ich hinfliehen vor deinem Angesicht? – Stiege ich in den Himmel, so wärst du da. Stiege ich in die Hölle, so wärst du da. – Nähme ich mir Flügel von der Morgenröte, und wohnte ich am äußersten Meer, so würde auch dort eine Hand mich führen und deine Rechte mich halten!“
    War das der Mir? Natürlich! Wer anders sollte es sein? Aber wie kam er zu diesem Bibelspruch? Wenn die Menschenstimme überall täuschen und sich verstellen kann, hier in diesem Tempel des Maha-Lama-Sees aber nicht! Indem sie hier wie eine Offenbarung klingt, offenbart sie vor allen Dingen auch sich selbst. Und in dieser Stimme lag die Wahrheit. Was der Mir jetzt sagte, bewegte ihn auch wirklich. Nach einer kleinen Pause kam der zweite Ruf:
    „Wie der Hirsch sich sehnt nach Wasserquellen, also verlanget meine Seele, o Gott, nach dir. – Meine Seele dürstet nach Gott, nach dem starken, lebendigen Gott. Wann werde ich hinkommen und erscheinen vor Gottes Angesicht?“
    Hierauf wieder eine kurze Weile, dann erklang es:
    „Dein

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