25 - Ardistan und Dschinnistan II
die Dschema dich an meiner Stelle fragte, ob du die Sünden meiner Väter auf dich nehmen und büßen wollest!“
„Ich würde ein schnelles, frohes Ja sagen.“
„Also auch ein Ja! Wirklich, Effendi, wirklich?“
„Ja, wirklich!“
„Und warum?“
„Warum? Weil es so in mir liegt, also weil es meiner seelischen Natur, meinem Charakter, meinem Naturell, meinem Temperament entspricht. Ferner weil ich als Christ an die ewige Liebe glaube, und weil du doch wohl nicht zu leugnen vermagst, daß deine Ahnen, die sich alle weigerten, weder für mich noch für dich maßgebende Personen sind, nach denen man sich richtet.“
„Effendi, sie waren Herrscher. Das bedenke!“
„Herrscher? Pah! Sie konnten nicht einmal sich selbst beherrschen, viel weniger andere! Sie gehorchten den Stimmen, welche tief unter ihnen, nicht aber denen, welche hoch über ihnen erklangen. Das Wort Herrscher bedeutet für mich etwas ganz anderes. Abu Schalem, der ‚berühmteste, der gerechteste und der gütigste‘ unter den Maha-Lamas war ein Herrscher! Er herrscht noch heut, sogar über dich und mich! Er ist unser Retter, viele, viele hundert Jahre nach seinem Tod! Und ich bin überzeugt, daß der Segen, der von ihm ausgegangen ist, noch weiter fließen wird, zum Heile Ungezählter, die noch kommen. Wo ist unter deinen Ahnen einer, der ihm gleicht, der ihm auch nur von weitem gleicht? Oder kennst du einen?“
Er schwieg.
„So höre, was ich dir jetzt noch sage! Aber zürne mir nicht wegen meiner Aufrichtigkeit! Du schweigst, wenn ich dich nach ihrer Herrschergröße frage. Betrachten wir sie nun nur nach ihrem Wert als Menschen. Sag mir: Waren sie gute Menschen? Wurden sie geliebt?“
„Vielleicht einige!“ antwortete er zögernd.
„Also nur einige! Und die auch nur vielleicht! Ich sage dir, daß sie Feiglinge waren! Feiglinge und Selbstlinge, sie alle, alle, vom ersten bis zum letzten!“
„Effendi, der letzte war mein Vater!“
„Das ändert nichts an meinem Urteil; im Gegenteil, es wird dadurch begründet und verschärft. Hat er etwa als Vater an dir gehandelt, als er der Dschema ein Nein entgegenrief? Hat ein einziger von allen diesen deinen sogenannten Vätern auch nur mit einem einzigen Atemzuge an das Wohl und an das Glück seiner Kinder, seiner Enkel und seiner ferneren Nachkommen gedacht? Das ist es ja, was ich dir noch sagen muß! Du bist blind; ich muß dir die Augen öffnen. Du hast die Feigheit und die Selbstsucht deiner Ahnen nicht nur nach rückwärts, sondern auch nach vorwärts zu betrachten. Merke wohl auf meine Worte, die jetzt kommen: Deine Vorfahren waren zu feig, die Taten ihrer Väter auf sich zu nehmen. Sie waren zu feig auch nur allein sich selbst zu erlösen, indem sie sich zu einem anderen, edleren, besseren Leben entschlossen. Und sie waren so feig so ohne alle Eigenehre und so faul, daß sie, um ihre Taten nicht selbst büßen und sühnen zu müssen, alle ihre Schuld auf ihre unschuldigen Nachkommen vererbten und in elender Memmenhaftigkeit nur auf den einen armen, unglücklichen Mutigen warteten, der mitleidig genug und stark genug war, ihren ganzen Schmutz auf sich zu nehmen und unter ihm womöglich zu ersticken! Was sagst du zu einem Menschen, der sich ändern, der sich bessern, der sich heben, veredeln und verklären kann und es doch nicht tut, sondern alles, was er an äußern und innern Fehlern und Gebrechen an sich hat, auf seine beklagenswerten Kinder und Kindeskinder vererbt, weil er zu faul, zu feig zu egoistisch und zu genußsüchtig ist, als daß er sich verpflichtet fühlen könnte, sich aus eigenem Entschluß und aus eigener Kraft emporzuarbeiten und lieber der Letzte seines Stammes zu sein, als auf eine Erlösung zu warten, die er keineswegs verdient? Pfui, sage ich, pfui! Und indem ich es sage, denke ich nicht nur an die lange Reihe der Emire von Ardistan, sondern überhaupt an jedes ‚Haus‘, an jeden ‚Stamm‘ an jede ‚Familie‘, die es gibt, gleichviel ob von Adel oder bürgerlich, ob alt oder jung, ob berühmt oder unbekannt. Ein jeder einzelne Mensch hat Vorfahren und darf auf Nachkommen rechnen. Ein jeder einzelne Mensch, gleichviel, ob er Fürst oder Bettler ist, hat die Aufgabe, seine Ahnen und sich selbst zu erlösen, indem er sich mutig und energisch von den angeborenen und anerzogenen Fehlern befreit und sich hierdurch das gottgewollte, große Glück bereitet, in dieser seiner Weise an der Gesundung. Erstarkung und Veredelung der ganzen Menschheit
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