25 - Ardistan und Dschinnistan II
teilzunehmen. – So, das war es, was ich dir noch zu sagen hatte. Nun zürne mir, wenn du kannst!“
Ich wandte mich von ihm ab und schaute hinunter nach dem weiten, runden Platz, in dessen Mitte der Wasserengel stand. Quer über diesen Platz waren die Emire von Ardistan getragen worden, in der ‚köstlichen Sänfte‘, um vor die Dschema gestellt zu werden. Was sie da geantwortet hatten, das wußte ich. Und was der jetzige Mir antworten würde, das wußte ich nun auch. Ich hatte nicht ohne Grund, sondern in voller Absicht so offen und unverblümt, zuweilen sogar in direkt beleidigender Weise gesprochen. Ich glaubte, dies wagen zu dürfen, wie ich es schon wiederholt gewagt hatte und dabei niemals fehlgegangen war. Er stand still und bewegte sich nicht. Sein Gesicht war nach Norden gerichtet, wo den rastlos arbeitenden Vulkanen gerade jetzt zahlreiche Feuersäulen entstiegen, die infolge der Perspektive eine einzige zu sein schienen und so hoch emporstrebten, als ob sie bestimmt seien, den ganzen Himmel zu erobern und den Glanz aller Sterne in sich aufzunehmen. Dann drehte er sich mit einem plötzlichen, energischen Ruck zu mir herum, legte die Arme um mich, küßte mich auf die Stirn und sagte:
„Mein lieber, lieber Effendi! Du bist ein schrecklicher, ein ganz schrecklicher Kerl, aber doch ein guter, ein herzensguter Mensch! Willst du mir einen Wunsch erfüllen? Denselben, den ich dir vorhin nicht erfüllt habe?“
„Welchen?“
„Ich möchte gern allein sein! Hier! Es muß klar in mir werden!“
„Gut, ich gehe!“
Ich küßte ihn ebenso auf die Stirn, wie er vorher mich, und trat von der Platte in das Innere des Tempels. Dort zündete ich mir eines der Lichter an und stieg langsam hinunter in die Tiefe. Das Schwerste war geschehen: Der Mir war besiegt. Was nun noch kommen mußte, mochte es noch so schwer sein, es war doch nur die Folge des heutigen, von Gott gesegneten Tages. Was wird der morgige bringen? –
FÜNFTES KAPITEL
Wieder frei
Als ich hinunterkam, war Halef mit der Zubereitung des Essens noch lange nicht fertig. Er nahm sich heute Zeit. Dieses Abendmahl sollte eine kulinarische Leistung allerersten Ranges werden, und sie wurde es auch, natürlich nur den beduinischen Maßstab angelegt. Der Mir kam viel zu spät. Es wurde ihm das Beste, was wir hatten, aufgehoben. Ich sah und sprach ihn heute abend nicht mehr, denn als er sich endlich einstellte, war ich schon längst eingeschlafen.
Wir waren heut mit der einen Hälfte der Baulichkeiten fertig geworden und begannen am nächsten Tage mit der anderen. Von allem, was wir am Vormittag sahen, will ich nur die Bibliothek erwähnen. Sie war sehr interessant, obgleich sich ihr Inhalt nur auf die Geschichte und Ausbreitung der humanitären Bestrebungen ihrer Gründer bezog. Es gab da viele, viele Tontafeln und Tonzylinder mit Keilschrift. Die letzteren waren weniger babylonische und assyrische als vielmehr altpersische. Sodann gab es unzählige Holztafeln mit chinesischer, mongolischer und tibetanischer Schrift. Ferner sahen wir viele, viele Bücher, Hefte und Rollen von Papyrus. Wir entdeckten Land- und Sternkarten, Zeichnungen von Menschen, Tieren, Pflanzen, Mineralien, Waffen, Gefäßen, Geweben und ähnlichen Dingen. Ebenso fanden wir Malereien in allen Größen und Farben. Von allergrößtem Interesse für uns war eine große, starke, kostbare Mappe, auf deren Außenseite die Worte zu lesen waren: ‚Die Dschema, ihre Richter und ihre Angeklagten‘. Als wir sie aufschlugen, sahen wir zwei voneinander geschiedene Pakete von Zeichnungen in chinesischer Tusche. Auf dem einen stand ‚die Richter‘, auf dem andern ‚die Angeklagten‘. Wir öffneten. Es waren lauter Porträts, und zwar in wahrhaft erstaunlich guter Auffassung und Ausführung. Einige durfte man getrost als Meisterwerke bezeichnen. Das ‚Richterpaket‘ enthielt die wichtigsten und hervorragendsten Maha-Lamas, das ‚Angeklagtenpaket‘ alle Emire, die es in Ardistan gegeben hatte. Die beste und wertvollste Zeichnung war jedenfalls das Porträt des berühmten Abu Schalem, ein Charakterkopf, wie man selten einen trifft, mit einer unvergleichlichen Licht- und Schattenverteilung, so daß die seelischen Eigenschaften dieses hochbedeutenden Mannes wenigstens ebenso deutlich und bestimmt hervortraten wie die äußeren Züge seines geistvollen, nur Güte strahlenden Angesichts.
Während wir dieses Bild mit aufrichtiger Sympathie und wahrem Kunstgenuß betrachteten, durchflog der
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