25 - Ardistan und Dschinnistan II
sofort unsichtbar gemacht, weil sie nicht wußten, ob sie Freunde oder Feinde vor sich hatten. Jetzt aber hatten sie ihre Mäntel wieder gewendet. Sie kamen nun grad von Norden her, ritten am Fuß des inneren Höhenzugs um den westlichen Stadtteil herum und schwenkten dann links genau nach der Stelle ein, an welcher der von uns benutzte Ausgang lag. Es war ein ganz eigener, ergreifender Anblick, den wir da vor uns hatten. Wir befanden uns inmitten eines öden, weiten Städte-, Völker-, vielleicht sogar Menschheitsgrabes, in dessen Tiefe auch wir hatten verschwinden sollen. Der Tod hatte uns von allen Seiten entgegengegrinst; aber als wir ihn genauer betrachteten, war er zum Verkünder des Lebens für uns geworden. Wir hatten das Grab gesprengt. Wir strebten aus ihm heraus, und kaum hatten wir diesen Willen bekundet, so kam uns auch Hilfe von außen, von den Bergen herab, die gen Himmel ragen, in Gestalt des klaren, reinen, hellschimmernden Wassers und des sich von den Felswänden milchweiß abhebenden Reiterzugs, dessen Helme und Lanzenspitzen goldene Strahlen zu uns sandte. Der Anblick dieser Truppe hatte an diesem Ort und an diesem sonnigen Morgen etwas Unirdisches, ich will nicht sagen, Überirdisches. Man mußte an die ‚Heerscharen Gottes‘ denken, von denen in so vielen, alten, frommen Büchern die Rede ist. Wie gesagt, es war mir ganz eigenartig, fromm, ja mehr als fromm, zumute.
Als die Spitze des Zuges den Punkt erreichte, der, nur durch die schon beschriebene Senkung von ihm getrennt, unserem Eingang gegenüberlag, hielt sie an. Wir sahen Posaunen und Trompeten glänzen, die nicht wie heut, sondern wie vor Jahrtausenden gestaltet waren. Sie bliesen eine lange, weithin schallende, feierliche Fanfare, die wie eine Anfrage höherer Wesen klang, ob ihnen der Einzug gestattet oder verweigert sei. Vom höchsten Punkt der Zitadelle herab antworteten die Riesenhörner der Ussul, indem sie ein tief aufatmendes ‚Willkommen‘ jubelten. Dann setzte sich der Zug der weißen Reiter von neuem in Bewegung, die jenseitige Halde hinab, die diesseitige wieder herauf und dann durch den offenstehenden Eingangsraum auf den weiten Platz des Maha-Lama-Sees herein.
Sie waren alle genau gekleidet wie der Schech el Beled, nämlich in enganliegende, aus Lederriemen geflochtene Anzüge, welche von weitem das Aussehen von Ritterrüstungen hatten. Diese Riemen waren gegerbt, doch nicht gefärbt, also naturfarben. Die prächtigen Helme bestanden aus leichten, goldig schimmernden Metallteilen. Sie waren hinten mit einem stoffenen Nackenschutz versehen, welcher, nach vorn geschlagen, den Helm für jeden fernen Beobachter unsichtbar machte. Die Mäntel habe ich schon erwähnt. Die Bewaffnung bestand nur in einer sehr langen, aber sehr gefährlichen Lanze und einem in lederner Scheide steckenden Gürtelmesser. Etwas anderes war nicht vorhanden, weder zum Schießen noch zum Hauen oder Stechen. Und auch diese beiden schienen mehr friedlichen als kriegerischen Zwecken dienen zu sollen. Die Pferde waren, wie bereits gesagt, lauter Schimmel, von edler Abkunft, persisch aufgezäumt, mit langen, ungekünstelten Schweifen und Mähnen.
Voran ritt ein starker, stolzer, silberbärtiger Riese, der keinen einzigen fragenden Blick um sich warf und sich ganz so benahm, als ob er mit der Örtlichkeit und allem, was hier geschehen war, und noch geschehen sollte, vollständig vertraut sei. Ihm folgten, vier Mann hoch, eine Schar von Offizieren, wohl der Stab. Dann kam, auch zu vieren, die eigentliche Truppe, je hundert Mann von einem einzelnen angeführt. Indem sie so, wie sie zum Tor hereinkamen, langsam und in prächtiger Haltung der Rundung des Platzes folgend, längs der nördlichen Säulenhalle hinritten, sahen wir, nach auswärts schauend, daß ihnen ein langer aber wohlgeordneter Zug von Maultieren folgte, welche die Bagage, also Zelte usw. zu tragen hatten.
Aber wir sahen da auch noch mehr, nämlich daß hinter diesen Maultieren eine neue, andere Truppe kam, die auch auf lauter Schimmeln ritt und ganz genau so ausgerüstet war, wie die vorige, nur daß, wie wir später bemerkten, ihre ledernen Anzüge nicht naturfarbig, sondern blau waren, und zwar von jenem tiefen, beruhigenden, ein wenig violetten Blau, welches der Himmel zeigt, wenn man aus einer tiefen, schmalen Schlucht zu ihm aufschaut und nur einen Streifen von ihm sieht.
„Ein zweites Heer!“ rief der Mir verwundert aus. „Wer mag das sein?“
Da antwortete Abd el Fadl:
„Das
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