25 - Ardistan und Dschinnistan II
sehen konnte. Er kam an der Spitze des ganzen Imamates (Moslemischer Klerus) der Stadt gezogen. Die Moschee war so voller Menschen, daß man kaum einen Zoll breit des steinernen Fußbodens zu sehen bekam. Halef hatte wieder einmal gewirkt, und zwar in ganz vorzüglicher Weise. Unser begeisterter Basch Nasrani hätte nicht besser für den Mir sprechen können, als der Basch Islami jetzt für ihn sprach, und als die Feierlichkeit zu Ende war, strömten alle diese Moslemin aus der Moschee in die Straßen und Gassen der Stadt hinaus, um das Lob des zurückgekehrten Herrschers zu verkünden.
Am Abend stellte sich der hohe, geistliche Würdenträger des Islam zur angegebenen Stunde mit seinen beiden Begleitern wieder bei dem Mir ein und erklärte sich bereit, in sein Gefängnis zurückzukehren. Der Mir nickte ihm lächelnd zu und sagte:
„Von jetzt an bist du nur noch mein persönlicher Gefangener; für andere aber bist du frei. Du wirst mich in das Feld und in die Schlacht begleiten, damit ich deines Rates nicht entbehre, sooft ich seiner bedarf. So wirst du an mich gebunden sein, bis du mir beweisen kannst, daß ich dieses deines Rates weder wert noch würdig bin. Dann gebe ich dich frei. Geh heim in Allahs Namen, und sprich morgen früh wieder vor bei mir. Du sollst mir helfen, die vom ‚Panther‘ Verführten zum Gesetz und zur Ordnung zurückzubringen.“
Ich unterlasse es, die Wirkung zu beschreiben, welche dieser unerwartete Bescheid auf den, dem er galt, machte. Der Basch Islami war für immer zurückgewonnen.
Als der Dschirbani mit seinen Ussul und Tschoban angekommen war und militärfestlichen Einzug gehalten hatte, wohnte er als Gast des Mir im Schloß, er, der ausgezogen war, ihn zu besiegen. Er kannte Ard noch nicht. Darum wurde ein Ritt durch die Stadt unternommen, der sich beinahe zu einem Triumphzug gestaltet hätte, wenn wir der Begeisterung, wo sie groß werden wollte, nicht fleißig ausgewichen wären. Am Abend gab es eine fürstliche Tafel, zu der alle hervorragenden Ussul, Tschoban und Ardistaner, die diesen Vorzug verdient hatten, geladen waren.
Dann besuchte mich der Dschirbani, ehe er schlafen ging, noch auf ein halbes Stündchen in meiner Stube. Wir rekapitulierten die Ereignisse, wobei ganz selbstverständlich der ‚Stadt der Toten‘ noch besonders zu gedenken war.
„In der letzten Nacht am Maha-Lama-See hatte ich einen eigentümlichen Traum“, sagte er. „Oder war es kein Traum, sondern eine Vision? Ich weiß es nicht. Ich sah nämlich meine Mutter.“
„Wo?“ fragte ich.
„Im Mondstrahl.“
„Im Mondstrahl? Also draußen, auf dem freien Platz? Ich denke, du hast geschlafen und geträumt!“
„Nicht draußen, sondern in meinem Zimmer. Du kennst die schmalen, spaltenförmigen Fenster in den Mauern. Ihre Öffnungen fallen nach innen abwärts. Der Mond stand am Himmel, nicht voll, sondern nur ein Viertel seiner Gestalt. Aber dieses Viertel leuchtete hell. Es sandte zwei seiner klarsten Strahlen durch die beiden Fensterscharten. Sie fielen mir gerade in das Gesicht. Sie hatten mich aus dem Schlaf geweckt. Schon wollte ich mich umdrehen, um ihnen auszuweichen, da spürte ich einen feinen, köstlichen Duft, der mich wie ein Gruß aus glücklicher Zeit berührte. Ich kannte ihn. Es ist der Blütenduft der wohlriechenden Ssafßahf (Weide), der Lieblingswohlgeruch meiner verstorbenen Mutter. Indem ich an sie dachte, stand sie vor mir, ganz plötzlich, mit einem Mal, mitten zwischen den beiden Strahlen, also nicht hell, sondern so seltsam und so geheimnisvoll beschienen, wie die Seelen der Entschlafenen, wenn sie dem Grab entsteigen, um das, was sie im irdischen Dunkel glaubten, im himmlischen Licht in Erfüllung gehen zu sehen.
‚Mein Sohn, mein Sohn, mein lieber lieber Sohn!‘ flüsterte es zwischen den Mondstrahlen. Dann war sie weg, verschwunden. Aber einige Augenblicke später fühlte ich zwei Lippen. Sie beugte sich zu mir herab. Sie küßte mich, erst auf die Stirn, dann auf den Mund.
‚Mutter, meine Mutter!‘ rief ich aus, indem ich mich aufrichtete, um nach ihr zu greifen und sie festzuhalten. Aber ich griff in die Luft, in das Nichts. Ein Schrei, ein unterdrückter, kaum hörbarer Schrei erklang. Es huschte etwas quer durch die beiden Mondstrahlen. Mir war, als vernehme ich leise, ganz leise Schritte, die sich schnell entfernten. Dann war der Traum vorüber und – ich schlief weiter.“
„War das auch Traum, als du riefst?“ fragte ich.
„Nein – das war
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