25 - Ardistan und Dschinnistan II
verlieren, was ein Volk besitzt, nämlich seine Selbständigkeit, seine Freiheit, also sich selbst. Er war gewillt, in Verhandlungen einzutreten, aber der Dschirbani ging nicht darauf ein, sondern sagte:
„Jetzt nicht. Du hast noch einen zweiten Sohn, den du ebenso sehen und sprechen mußt wie diesen hier. Komm mit!“
Wir entfernten uns von der bisherigen Stelle und suchten diejenige auf, an welcher der ältere Prinz untergebracht worden war. Sie war auch zwischen engen Felsen gelegen, wie eine kleine Kabine zwischen vier Wänden. Ein Ussul bewachte sie.
„Geh hinein und sprich mit ihm!“ sagte der Dschirbani zum Scheik. „Ich gebe dir hierzu zehn Minuten Zeit. Wir warten hier.“
Als der Scheik im Innern dieses Raumes verschwunden war, setzten wir uns nebeneinander auf einen hierzu passenden Steinblock, um auf seine Rückkehr zu warten. Wir sprachen nicht. Der Dschirbani schaute still vor sich nieder, und ich betrachtete ihn, doch ohne daß er es bemerkte. Er sah nicht im geringsten älter aus als vorher, und doch erschien es mir fast auffällig, wie gereifter und gefestigter seine Züge während der letzten Tage geworden waren. Der große Mensch, der er innerlich war, hatte begonnen, nach außen zu treten.
Als die zehn Minuten vergangen waren, kehrte der Scheik zurück, und zwar mit seinem Sohn. Beide waren außerordentlich ernst. Man sah ihnen an, daß sie sich zu einem festen Entschluß vereinigt hatten. Der Vater fragte, indem er auf den Prinzen deutete:
„Ich bringe ihn gleich mit heraus. Ist er noch euer Gefangener?“
„Ja“, antwortete der Dschirbani.
„Wie lange?“
„Bis der Friede zwischen dir und mir, zwischen den Tschoban und den Ussul geschlossen worden ist.“
Da sagte der Sohn:
„Dieser Friede wird geschlossen! Und es ist mein Wunsch, daß es sofort geschehe! Wer konnte ahnen, daß unser Kriegszug nach einem solchen Ziel, zu einem solchen Ende führen werde! Aber in allem, was geschehen ist, verspüre ich Gottes Finger, und dahin, wohin er zeigt, werden wir gehen. Wirst du meinem Vater erlauben, in diesem Sinn zu unsern Tschoban zu sprechen?“
„Gern.“
„Auch mir?“
„Ja.“
„Gleich jetzt?“
„Sofort! Kommt!“
Wir stiegen also, die beiden mit uns nehmend, wieder zur Höhe hinauf und folgten dem oben hinlaufenden Pfad, um uns nach der Platte zu begeben und dort den Tschoban ihren Scheik wieder abzuliefern. Dieser fragte unterwegs nach den Bedingungen des Friedens.
„Wähle sie dir!“ antwortete der Dschirbani.
Da blieb der Scheik stehen, sah ihn groß an und fragte:
„Habe ich recht gehört?“
„Ja“, lächelte der Gefragte.
„Du willst sie mir nicht stellen, sondern ich soll sie mir wählen?“
„Ja, gewiß! Verwundert dich das? Wir wollen einander den Frieden schenken, ihn nicht etwa teuer erkaufen und bezahlen. Ich wünsche, daß ich dein Bruder werde und daß deine Nation die Schwester der meinigen sei. Für einen erzwungenen, unhaltbaren Frieden ist selbst der kleinste Preis zu hoch. Aber der allerhöchste Preis ist klein, wenn ich mir mit ihm die dauernde Liebe und Treue erwerbe, die deinen und meinen Stamm in Zukunft eng und brüderlich verbinden soll. Ich fordere nichts von euch; ich will euch geben. Verstehst du das?“
Da reichte ihm der Scheik beide Hände und antwortete:
„Ich verstehe es sehr wohl und werde deinem Hochsinn angemessen denken und auch handeln. Bist du im Geben groß, so will ich im Nehmen nicht kleiner sein als du. Wie ich jetzt deine Hände in den meinigen halte, so seien nunmehr unsere Völker so vereint, als ob sie eines wären! Eure Freunde seien auch unsere Freunde und unsere Feinde auch euere Feinde. Ist das recht?“
„Ja, es ist recht!“ antwortete der Dschirbani. „Von heute an seien die Ussul und die Tschoban ein Geschwisterpaar von zwei einander treu und ehrlich helfenden Völkern. Die Probe werde gleich heut gemacht. Bist du bereit, dich mit mir gegen die Dschunub zu vereinigen?“
„Sofort!“
„Und ihnen aber, wenn wir siegen, ebenso zu verzeihen, wie ich jetzt euch verzeihe?“
Der Scheik wollte überlegen; da bat sein Sohn:
„Sag ja, mein Vater, sag ja! Wir stehen hier auf sturmumheulter Höhe. Wir haben freier und reiner und edler zu handeln als die da unten im Tal. Ich weiß, meine Mutter hat nicht nur mich allein, sondern auch dich zu Gedanken erhoben, die es wagen, unserer trägen, harten, unvernünftigen Zeit voranzueilen. Allah hat es gewollt, daß wir heut Menschen begegnen, welche
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