25 - Ardistan und Dschinnistan II
Wir sahen nur die immerfort stürzende Flut, die uns umklatschte, umbrüllte, umbrandete und in gieriger Wut an uns vorüber in die Tiefe sprang. Das ging so fünf Minuten, zehn Minuten, eine Viertelstunde, eine halbe, ja eine ganze Stunde. Da zuckte wieder ein Blitz, noch einer und noch viele hintereinander. Die Donner brüllten und krachten, daß mir die Ohren zu schmerzen begannen; aber die zuckenden Funken ließen bald hier und bald da eine Stelle des Tals oder des Flusses erkennen, und so bemerkten wir, daß Fluß und Tal nicht mehr zweierlei waren, sondern daß der erstere seine Ufer überflutete und ganz bis herüber an den Felsen reichte. Und als ob mit diesem eng zusammengedrängten Blitz- und Donnerschwall der aus dem offenen Himmel stürzende See sich erschöpft und das Weitere nun den Wolken überlassen habe, trat plötzlich eine Pause ein, in der kein einziger Tropfen fiel. Sie währte aber höchstens nur eine halbe Minute; dann setzte ein regelrechter Regen, wenn auch nicht allerersten, aber doch gleich zweiten Grades ein, der den ganzen Abend und die ganze Nacht bis zum frühen Morgen dauerte und auch so völlig undurchsichtig war, daß wir nur einige Schritte weit sehen konnten, und das auch nur, solange der Tag noch dauerte. Dann war alles um uns her ein einziges fließendes Wasser und eine einzige feste, dicke, stehende Finsternis. Aber jene kurze Pause zwischen Wolkenbruch und Regen hatte uns gezeigt, daß Pferde und Menschen mitten im strömenden Wasser lagen und saßen und also imstande waren, ihren Durst weit gründlicher zu stillen, als ihnen lieb und heilsam war.
Glücklicherweise war die Steinhütte für Halef und den Prinzen bei dem Beginn des Wassergusses schon fertig gewesen. Beide saßen also, gradso wie wir, im Trocknen. Aber unterhalten konnte ich mich mit dem guten Hadschi nicht, denn wir waren und blieben einander völlig unsichtbar, und um uns hörbar zu machen, hätten wir uns mehr anstrengen müssen, als das, was wir einander zu sagen hatten, wert gewesen wäre.
So verging der Abend und auch die Nacht, ich kann sagen, für mich ganz leidlich. Ich schlief mich einmal recht gründlich aus. Wenn ich hier und da aufwachte, so schläferte mich der ununterbrochene, monotone ‚Klatsch‘ des Regens sehr bald wieder ein. In diesen kurzen Pausen dachte ich an die armen Dschunub da unten am Fluß oder vielmehr im Fluß, denn das ganze Tal hatte sich wohl in einen einzigen, strömenden Kanal verwandelt. Auch gedachte ich der Tschoban und Ussul, die nicht so gut und trocken lagen wie ich. Aber die letzteren waren ja geborene Wasserratten, denen selbst so ein Guß gewiß nichts schadete und – klang das nicht, als ob jemand um Hilfe rufe? Nicht nur jemand, sondern viele? Solche Hilferufe erklangen noch oft – bald scheinbar nahe, bald scheinbar fern. Aber ich glaubte, es sei im Schlaf, und schlief also weiter, bis ich die bekannte Stimme meines Hadschi Halef hörte:
„Sihdi, du hörst ja nicht! Bist du denn tot, oder schläfst du wirklich nur?“
Ich wachte auf, rieb mir die Augen und schaute mich um. Ich lag nur noch allein in unserem improvisierten Steinpalast. Draußen war heller Sonnenschein. Da stand Halef mit seinen und meinen Hunden. Ich trat überrascht hinaus. Keine Spur von Wind, kein einziger Regentropfen mehr! Der Fluß war noch voll, doch ging er nicht mehr über die Ufer. Die Falle war leer, vollständig leer. Kein einziger Mensch, den ich sah! Da lachte Halef:
„So klug wie jetzt, hast du noch niemals ausgesehen, Sihdi!“
„Ich glaube es“, antwortete ich. „Ich bin mehr als erstaunt; ich bin geradezu verblüfft. Was habe ich da alles verschlafen!“
„Nicht viel mehr als ich. Auch ich bin erst vor kurzem aufgewacht, als der Prinz sich wieder fortschaffen ließ, um zu seinem Vater zu kommen. Dieser seltsame Regen und diese wunderbare Luft hat auf dich und mich gewirkt wie ein Schlaftrunk, dem man nicht widerstehen kann.“
„Aber wo sind sie alle, die hier waren?“
„Unten, weiter unten. Komm! Ich erzähle dir unterwegs!“
Was ich nun erfuhr, wenn auch nur andeutungsweise, denn Halef wußte selbst fast nichts genau, war mehr als überraschend und warf alle Berechnungen um, die ich mir in Beziehung auf die Dschunub gemacht hatte. Der Dschirbani hatte mit seinem Stab eine entsetzlich anstrengende Nacht verbracht. Er hätte Halef und mich recht wohl brauchen können, war aber nicht imstande gewesen, uns das zuzumuten, was er nur sich selbst zumuten durfte.
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