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25 - Ardistan und Dschinnistan II

25 - Ardistan und Dschinnistan II

Titel: 25 - Ardistan und Dschinnistan II Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Felder liegen, und aus der Tiefe der Bergengen glänzte fließendes Wasser zu uns herauf. Das war gegenüber der Wüste der Tschoban, die wir glücklich überwunden hatten, ein erfreulicher Anblick für uns.
    Der heutige Nachmittag war schon über halb verflossen, als sich die Zeichen mehrten, daß die Residenz nahe sei. Auf allen Wegen sah man Menschen, die entweder dorthin gingen oder von dorther kamen. Begegnungen waren gar nicht mehr zu vermeiden. Besonders fiel uns der große Prozentsatz der Militärpersonen auf, die sich unter diesen Leuten befanden. Sie waren, wie vor zwei Monaten die Dschunub, fast ganz gleich gekleidet und an ihren Gewändern mit Abzeichen versehen, die sich auf die betreffende Charge bezogen.
    Wir hatten eine lang hingestreckte Höhe zu erklimmen gehabt, an der sich Wein- und Johannisbrotgärten aneinanderreihten. Ich dachte dabei an meinen Lieblingsberg, den Karmel, auf dessen Höhe es auch Wein und Johannisbrot in Menge gibt. Jetzt, als wir den Kamm erreichten, hielten wir unwillkürlich unsere Pferde an, denn der Anblick, der sich uns von hier aus bot, war überraschend schön, war sogar selten schön. Vor uns lag ein weiter, weiter, rundum von Bergen eingeschlossener Talkessel, den vier Flüsse durchzogen, die sich grad unter uns vereinigten. An den Ufern dieser Flüsse lag Haus an Haus und Garten an Garten, so weit unsere Blicke reichten. In den Gärten herrschte die Palme vor. Es war fast so, wie wenn man von den Baradafelsen aus auf Damaskus herunterschaut, nur noch viel schöner. Die Häuser zeigten alle möglichen Baustile. Auch Gotteswohnungen gab es in großer Zahl und, wie es schien, von jeder geschichtlichen Art. Wir sahen geschlossene und offene Säulentempel; links drüben ein Bau, der einem indianischen Teokalli glich, und rechts, auf der andern Seite, eine hoch und massig gebaute Chinesenpagode. Dazwischen ragten schlanke, mohammedanische Minaretts in die Lüfte. Hier und da stand auch ein kleineres, bescheideneres Haus, mit einem christlichen Kreuz auf dem Dach. Sollten das etwa Kirchen sein?
    Vor allen Dingen stieg grad im Mittelpunkte der Stadt ein wunderbar komponierter und gegliederter Bau aus Stein zum Himmel auf, der unsere Blicke auf sich zog und gar nicht wieder von sich lassen wollte. Das Mittelstück desselben, ein großes, kühnes Kuppelwerk, wurde nach Nord, Süd, Ost und West von vier gewaltigen Türmen flankiert, welche ganz gewiß die Höhe des Kölner Doms hatten, einander auf das genaueste glichen und, unten massig geschlossen, sich nach oben hin immer feiner und feiner filigranisierten, so daß ihre Spitzen sich in Äther zu verwandeln und ganz in ihm zu verschwinden schienen. An diese vier Haupttürme schlossen sich nach den vier Himmelsrichtungen wieder Kuppeln an, aber kleinere, die eine Interpunktion von gleichmäßig kleineren Türmen bekamen und in eine weitere Folge von immer tiefer herabsteigenden Kuppeln, Türmen und Türmchen verliefen, bis der hoch aufgeschwungene Grundgedanke die Erde wieder erreichte, aus der er gestiegen war. War das ein christlicher Dom? Etwa die Kathedrale?
    „Nicht wahr, eine herrliche Stadt?“ fragte der Oberst, der es uns ansah, welchen Eindruck das alles auf uns machte. „Hier stand zur Zeit der ersten Menschen das Paradies. Siehst du die vier Flüsse? Sie heißen Phison, Dschihon, Tigris und Phrat. Diese Namen stehen schon in euerm Koran oder in eurer Bibel oder in euern Vedabüchern. Mich geht das nichts an, denn ich glaube an kein solches Buch. Die Türme sind das Schloß des Mir. Gott selbst hat den Grundstein gelegt, als das Paradies noch stand, grad in der Mitte desselben. Er befahl den Assyra und Babyla, die Riesen waren, den Bau zu beginnen, den er zur Wohnung für den Mir von Ardistan bestimmte. Sie gehorchten. Später aber kamen die Christen, welche behaupten, daß alles nur ihnen allein gehöre. Sie trieben die Assyra und Babyla von dannen und bauten weiter. Als alles fertig war, setzten sie auf jede Spitze, Ecke und Kante ein Kreuz. Der damalige Mir ließ das geschehen. Er lächelte dazu, daß sie glaubten, in diesem seinem Hause wohnen zu können. Als das letzte Kreuz seinen Platz erhalten hatte, ließ er sie alle wieder entfernen und zog hinein, wo nun sein Nachkomme noch heutigen Tages wohnt. Die Christen aber wurden ob ihres Hochmuts streng bestraft. Sie sind noch heut verachtet und verhaßt, und es ist eine große Gnade des Mir, daß er sie nicht ganz vernichtet oder vertrieben, sondern ihnen

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