25 - Ardistan und Dschinnistan II
plötzlich an einem Mauertor hielten und der Oberst uns sagte, daß wir am Ziel angekommen seien. Das Tor führte nicht in ein Gebäude, sondern in einen offenen Hof, dessen zwei Hauptseiten aus Stallungen bestanden. Hier wurden, wie wir erfuhren, die Pferde der Gäste des Mir untergebracht, und zwar nur die wertvollen Pferde, nicht aber die gewöhnlichen, die nicht der Mühe wert waren, welche man sich mit Tieren besserer oder gar reinster Abstammung gibt. Der Oberst wollte uns, sobald wir abgestiegen waren, gleich weiterführen, doch gingen wir nicht darauf ein, denn in unserer gegenwärtigen Lage hatten unsere Pferde für uns genau denselben Wert wie wir selbst. Er mußte warten, bis sie untergebracht, gesäubert, gewaschen und getränkt worden waren und ihr Futter vorgelegt bekommen hatten. Als er darüber ungeduldig wurde und uns sagte, daß er nicht so lange warten könne, sondern dem Mir Bericht erstatten müsse, antwortete Halef in seiner ihm eigenen, deutlichen Weise:
„Wir verlangen ja gar nicht, daß du länger bleibst. Nur der Mir soll warten, da du nicht warten kannst. Mein Pferd steht mir höher als er!“
Der Offizier aber wartete doch! Dann führte er uns durch ein Innentor nach einem der kleinen Nebentürme, in dem die beiden Stuben lagen, die uns angewiesen wurden. Dort übergab er uns einem Diener und entfernte sich. Der Diener war sehr höflich, aber auch sehr einsilbig. Er brachte uns Essen und Trinken und setzte sich dann draußen vor die Tür, so daß es, da er Pistolen im Gürtel stecken hatte, ganz so aussah, als ob er nicht unser Domestik, sondern unser Wächter sei. Das Essen war sehr gut und sehr reichlich. Als wir gesättigt waren, genossen wir für kurze Zeit die Aussicht, die sich uns durch das Fenster bot. Wir sahen von da aus bis weit zu der Höhe hinaus, von der wir herabgekommen waren. Dann gingen wir hinunter nach dem Hof, weniger, um noch einmal nach unseren Pferden zu sehen, als vielmehr, um zu erfahren, wie es mit der Freiheit bestellt war. Der Diener hinderte uns nicht, die Stuben zu verlassen, aber er kam dann hinter uns her. Und als wir unten nach dem Außentor schritten, machte er uns darauf aufmerksam, daß es verschlossen sei. Es werde uns geöffnet werden, wenn wir in die Stadt zu gehen wünschten; aber da müsse er vorher die Wache kommen lassen, die uns zu begleiten habe, weil der Mir nicht wolle, daß uns auf irgendeine Weise ein Leid oder etwas Ähnliches geschehe. Nun wußten wir, woran wir waren. Man betrachtete uns als Gefangene, obgleich man es uns nicht direkt zu hören gab. Das beunruhigte uns aber nicht, denn wir hatten überhaupt nichts anderes erwartet. Als wir hierauf in unsere Wohnung zurückgekehrt waren, brach die Nacht herein, und der Diener brachte uns Licht. Eine Stunde später kam der Oberst und teilte uns mit, daß er den Befehl habe, uns zum Mir zu führen. Dieser werde zwar nicht mit uns sprechen; wir aber hätten ihm die vorgeschriebene Demut zu erweisen und alle Fragen, die er durch andere an uns richten lasse, schnell und der Wahrheit gemäß zu beantworten.
„Da sehe ich schon kommen, was kommt!“ flüsterte Halef mir zu. „Das wird sich mein Sihdi wohl kaum gefallen lassen!“
Der Mir von Ardistan ist ein hochstehender, orientalischer Fürst, ein Selbstherrscher, der kein anderes Gesetz kennt, als nur seinen eigenen Willen. Die Fama sprach nicht gut über ihn, sondern schlecht, sehr schlecht. Man sagte ihm nach, daß selbst der reichste, der höchste, der beste und klügste Mensch für ihn nichts weiter sei als nur eine Mücke, die man zwischen zwei Fingerspitzen zerdrückt. Ich aber wußte, daß der Mensch stets menschlich bleibt, sowohl in guten als auch in bösen Dingen. Kein Mensch kann so vortrefflich sein, daß er nur Engel ist. Und kein Mensch kann von Gott so völlig aufgegeben werden, daß man nur noch Teuflisches, nichts Menschliches mehr an ihm findet. Auch der Mir von Ardistan war jedenfalls weder ein Engel noch ein Teufel und stand dem Letzteren wohl kaum so nahe, wie das Gerücht behauptete. Wenn ihm ein Menschenleben so gar nichts galt, so lag das vielleicht weniger an ihm als an dem Umstand, daß er es jahraus-jahrein nur mit niedrigen, kriechenden Speichelleckern, Schmarotzern und Schranzen zu tun hatte. Womöglich war ihm noch niemals ein Mensch von wirklichem Wert vor die Augen gekommen. Das war aber doch nur ein Grund, ihn zu bemitleiden, nicht aber, ihn zu fürchten oder gar zu hassen!
Wir wurden durch lange
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