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25 - Ardistan und Dschinnistan II

25 - Ardistan und Dschinnistan II

Titel: 25 - Ardistan und Dschinnistan II Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Weltereignisse in ihrer Mittelkuppel vor ihrem Eintritt bildlich vollziehen würden. Diese Kuppel wurde den Christen gelassen, aber nicht für stets, sondern nur für große Zeiten. Für gewöhnliche Zusammenkünfte haben sie ihre kleinen, mit einem Kreuz bezeichneten Gotteshäuser; aber alle hundert Jahre einmal, wenn die Berge brennen und da oben sich für die Frage nach dem Frieden das Paradies öffnet, muß Bet Lahem gerüstet sein, den Stern des Erlösers zu sehen. Dann dürfen sie allabendlich bis früh die Kirche besuchen.
    Dann hängen zahlreiche Lämpchen von der hohen Kuppel herab, um das Firmament von Bet Lahem darzustellen, und grad über dem stets tief verhüllten Hochaltar wartet der große Stern des zündenden Funkens, der von der Erde hinaufzusteigen und ihn zu entflammen hat.“
    „Was für ein Stern ist das? Und was für ein Funke?“ erkundigte ich mich.
    „Alle die vielen Flammen und Flämmchen können natürlich nur durch Zündschnur angezündet werden. Für den gewöhnlichen Gebrauch führen zwei Schnüre empor, welche von der rechten Seite des Hochaltars aus bedient werden. An seiner linken Seite aber steigt diejenige Schnur in die Höhe, welche bestimmt ist, die Flammen des großen Sterns zu entfachen. In der Mitte aber befindet sich die für den Hochaltar selbst, der, seitdem hier Fürsten wohnen, nie enthüllt worden ist und auch nie enthüllt werden wird. Die Christen aber denken anders. Sie behaupten Folgendes: Wenn die Zeit endlich gekommen ist, daß die Erlösung vom Himmel steigt und Friede auf Erden werden soll, grad dann wird sich alles vereinigen, was den Frieden nicht fördert, sondern unterdrückt. Es wird nicht nur Krieg sein zwischen Ardistan und Dschinnistan, sondern auch zwischen den Staaten von Ardistan untereinander. Darum kommt der Friede nicht den Fluß herab, sondern den Fluß herauf, ganz ungeahnt und in fremder, ganz unbekannter, aber christlicher Gestalt. Er hat ein Heer bei sich, keine Art von irdischen Waffen. Aber er verbindet sich mit den Bewohnern der ‚Stadt der Geister und der Toten‘ und kommt mit ihnen nach der Residenz gezogen, sie ohne Schuß und Schwert und ohne eine Spur von Blutvergießen zu erobern. Der Mir, der um diese Zeit über Ardistan herrscht, wird ein Feind des Christentums sein und es unterdrücken, so viel er nur vermag. Aber er wird gezwungen sein, den Stern, der über Bet Lahem zu erscheinen hat, mit eigener Hand zu entzünden. Sobald er dieses tut, ist der Gang des Kommenden unmöglich aufzuhalten. Er wird zunächst den Hochaltar für immer enthüllen. Sobald dieses geschieht, werden die Stimmen der Barmherzigkeit und Güte aus der Höhe des Firmamentes schallen, und Himmelstöne, die man im Land Ardistan noch niemals hörte, werden zu vernehmen sein, laut, wie des Sturmes Brausen, lieblich, wie Engelsworte, und leise wie die Atemzüge der Seelen, die am Herzen Gottes ruhen.“
    Er machte jetzt eine kurze Pause und sprach dann mit einer geringschätzigen, wegwerfenden Handbewegung weiter:
    „Du siehst, Effendi, daß man diesen törichten Menschen viel versprechen konnte, weil man wußte, daß nichts zu halten war. Man hat in Zeiträumen von hundert Jahren einmal die Lampen und Kerzen für den Hochaltar und für den ‚Stern von Bet Lahem‘ vorzubereiten und sich, solange die Berge leuchten, den abendlichen Besuch der Christen gefallen zu lassen; das ist alles. Keinem Mir von Ardistan wird es jemals, zumal wenn er das Christentum haßt, einfallen, den ‚Stern der Erlösung‘ zu entzünden. Wer soll als ‚Güte und Barmherzigkeit‘ in der Höhe des Firmaments singen? Und welcher Mensch soll die Himmelstöne hervorbringen, die man im Lande Ardistan noch niemals zu hören bekam? Auch du wirst lachen. Oder nicht?“
    „Nein“, antwortete ich. „Für mich sind Sagen heilig.“
    „Aber diese Sage wurde fabriziert, absichtlich fabriziert, um die Christen zu betören!“
    „Das zu beweisen, würde dir wohl schwer fallen! Wie nun, wenn die Fabrikanten sich selbst getäuscht haben? Wenn sie unbewußt einem höheren Gebote gehorchten, während sie glaubten, ihren eigenen Absichten dienstbar zu sein? Also, der heilige Raum steht den Christen gegenwärtig offen?“
    „Ja, während der ganzen Nacht.“
    „Und kommen sie?“
    „Von weit und breit her! In langen, großen Pilgerzügen! Heute kam ein Zug aus Scharkistan, der große Feier hält.“
    „Um welche Stunde?“
    „Von Mitternacht bis früh. Sie hat also schon begonnen.“
    „Du

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