25 - Ardistan und Dschinnistan II
ist so dunkel!“
„Du möchtest sie gerne sehen?“ sagte er.
„Ja; sehr gerne!“
„So warte! Man hat heut nur einen Teil der Lampen und Lichter angebrannt; warum, das weiß ich nicht. Dort ist die Zündschnur für den anderen Teil. Es soll gleich heller werden!“
Er ging nach einer der erwähnten Öffnungen in der Hülle des Hochaltars und griff hinein. Es dauerte einige Zeit, ehe er fand, was er suchte. Inzwischen richtete ich meine Aufmerksamkeit wieder auf den alten, ehrwürdigen, begeisterten Redner, der jetzt gerade nach meiner Seite gerichtet sprach, so daß ich seine Worte deutlich hörte:
„Es wird die Zeit des Friedens kommen, denn sie muß kommen, weil alles sich erfüllt, was uns verheißen ist. ‚Friede auf Erden!‘ erklang es auf dem Feld von Bethlehem, als der Stern am Himmel stand und der Erlöser uns geboren wurde. ‚Friede auf Erden!‘ wird es wieder klingen, wenn auch bei uns der Stern erscheint, der Stern der Sage, hier, in diesem Haus, auf den wir alle –“
Er hielt mitten in seiner Rede inne und schaute nach oben. Die Augen aller seiner Zuhörer folgten derselben Richtung.
In demselben Augenblick war der Mir schnell wieder zu mir getreten, um zu fragen:
„Siehst du sie nun, die Orgel? Wie hell das ist! Fast scheint es, als ob –“
Da sprach auch er nicht weiter und richtete seinen Blick nach oben.
„Der Stern! Der Stern von Bethlehem!“ rief der Redner jubelnd. „Er ist da! Er ist da! Wer hat ihn angesteckt?“
„Den Stern habe ich angebrannt, den Stern, nicht die Lampen und Lichter!“ schrie der Mir erschrocken. „Wir sind ja auf der falschen Seite! Es war nicht die richtige Schnur! Ich muß ihn wieder verlöschen, verlöschen, ver –“
Er eilte nach der Öffnung zurück und griff hinein, doch vergeblich. Es war wohl möglich gewesen, die Flammen zu entzünden, doch wieder auslöschen konnte man sie nicht. Man mußte sie brennen lassen, bis sie aus Mangel an Nahrung von selbst verschwanden. Er war jetzt nicht nur erschrocken, sondern außer sich. Infolge der Bewegung seines Armes nach dem Innern der Öffnung hatte sich vorn sein Gewand geöffnet und der Bart erschien. Er bemerkte das gar nicht. Um besser sehen zu können, schob er sich, anstatt sich zu verhüllen, den Zipfel des Turbantuches aus dem Gesicht. Der Geistliche erkannte ihn und rief:
„Der Mir von Ardistan hat es getan! Der Mir mit seiner eigenen Hand! Die Prophezeiung beginnt, sich zu erfüllen!“
Da ergriff der Mir meine Hand und Halefs Hand, versuchte, sich zwischen uns zu verbergen und herrschte uns zu:
„Fort, fort! Schnell, schnell! Sonst gibt es einen Aufruhr sondergleichen! Fort, nur fort!“
Wir eilten, so schnell wir konnten, von dannen, aber jedermann schaute uns nach oder kam gar hinterdrein, und erst zehn, dann zwanzig, fünfzig, hundert und noch mehr Stimmen riefen:
„Der Stern ist da! Vom Mir selbst angezündet! Vom Mir, vom Mir! Vom Feind der Christen! Genau, wie es verheißen ist! Vom Mir selbst, vom Mir selbst!“
Ein Blick zeigte mir, daß hinter uns alles in Aufruhr war. Dann hörten wir keine Rufe und Worte mehr, sondern nur noch ein erregtes Summen, wie von einem zornig gewordenen Bienenvolk, bis wir auch dieses nicht mehr vernahmen. Kein Mensch begegnete uns unterwegs auf den Treppen und Gängen. Wir erreichten unsere Wohnung völlig ungesehen.
„Das ist gut, sehr gut!“ sagte der Mir in großer Aufregung. „Man kann mir nichts beweisen! Ich leugne natürlich alles ab; ich bin es nicht gewesen! Und ihr, ihr werdet mir bezeugen, daß ich es nicht gewesen sein kann, weil –“
„Wir werden dir bezeugen, daß du es gewesen bist!“ schnitt ich ihm seine Rede ab. „Du hast von uns gefordert, die Wahrheit zu sagen!“
„Ja, zu mir! Aber nicht zu diesem niedrigen, verächtlichen Christenvolk!“
„Ich bin sie jedermann schuldig, Gott, mir und allen Menschen. Vor allen Dingen bin ich sie denen schuldig, die du als ein niedriges, verächtliches Christenvolk bezeichnest. Auch ich bin Christ, das weißt du ja!“
Da war es, als ob er sich plötzlich in einen anderen Menschen verwandle. Er richtete sich hoch auf. Seine Stirn wurde schmal; seine Augen verkleinerten sich; seine Brauen berührten einander. Der Despot trat hervor.
„Was ihr zu sagen habt, ist nicht eure, sondern meine Sache; ich bin der Herrscher!“ donnerte er mich an. „Dieser Hadschi Halef hat zwar gesagt, daß ihm sein Pferd viel höher stehe als ich – ihr hört, daß ich alles
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