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25 - Ardistan und Dschinnistan II

25 - Ardistan und Dschinnistan II

Titel: 25 - Ardistan und Dschinnistan II Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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weißt, ich bin Christ. Ist es mir als deinem Gast erlaubt, dann, wenn du uns verlassen hast, hinabzugehen, um dem Schluß dieser Feier beizuwohnen?“
    Er schaute mich eine kleine Weile an und lächelte dann wie belustigt. Es schien ihm ein Gedanke zu kommen. Er antwortete:
    „Ja, du bist Christ, leider, leider! Aber ein gebildeter, kein unvernünftiger und blindgläubiger. Dieses Reden und Plärren wird dich nicht erbauen, sondern dir ebenso lächerlich vorkommen, wie mir selbst. Ich habe also nichts dagegen, daß du gehst. Ja, du kannst es sogar gleich tun, und ich werde dich begleiten. Ich gehe sehr oft des Abends unbekannt durch die Stadt, den verräterischen Bart unter dem Gewand verbergend. Warum nicht auch einmal in den nächtlichen Gottesdienst der Christen. Ich sah ihn noch nie. Wenn ihr wollt, so können wir gehen. Wir kehren dann nach hier zurück.“
    Er stand auf und knüpfte seinen langen, köstlichen Bart unter sein Obergewand. Dann zog er den Zipfel seines Turbantuches hervor und ließ ihn wie einen Halbschleier über Stirn und Augen fallen. Hierdurch wurde er unkenntlich. Wir gingen.
    Unser Weg führte uns auch jetzt über mehrere nur ganz spärlich beleuchtete Treppen und Gänge, aber diesmal bis hinab zur ebenen Erde. Daß wir die Hunde nicht mitnahmen, sollte ich wohl nicht erst erwähnen. Das Hauptportal des hohen, herrlichen Kuppelbaues war geöffnet; aber wir traten durch eine Seitentür herein. Ja, das sah allerdings aus wie ein nächtlicher Himmel, wie ein Firmament. Der Himmel war dunkel und die Sterne erschienen sehr klein. Sie standen überhaupt nur an der einen Hälfte der Wölbung; auf der andern Hälfte gab es keinen einzigen. Der betreffende Beamte war wohl ein sparsamer Mann. Er glaubte, das Christentum habe auch am halben Himmel genug und ließ also den andern Teil des Firmaments dunkel. Darum gab es hier unten in der Tiefe nur eine Art von besserer Dämmerung die alles, was wir sahen, geheimnisvoll oder schattenhaft erscheinen ließ.
    Es waren viele, sogar sehr viele Menschen vorhanden. Es gab welche, die kamen, und welche, die gingen. Andere wandelten leise durch den weiten, weiten Raum; er war ihnen heilig, überall, an allen Orten knieten welche, die beteten. Die nicht von hier, sondern aus anderen Gegenden waren, standen in Gruppen beisammen und hörten ihre Redner sprechen, deren Worte nur in der Nähe verstanden werden konnten, dann aber nur bloß als Lärm in die Lüfte stiegen. Wir schritten, das alles beobachtend und von Gruppe zu Gruppe stehenbleibend, nach dem Hochaltar, welcher vollständig verhüllt war. Diese Hülle bestand aus einem starken Holzgerüst, worauf man dicke Filzplatten genagelt hatte. Es gab da in Mannshöhe einige Öffnungen, die mich augenblicklich nicht interessierten. Hoch über diesem Altar schwebte irgend etwas, was nicht deutlich zu erkennen war. Vielleicht der ‚Stern von Bet Lahem‘, auf den sich die vom Mir erzählte Sage bezog.
    In der Nähe der Stelle, an der wir uns jetzt befanden, standen viele, viele Menschen eng beisammen, um einem Prediger zuzuhören, der von einer Kanzel herab zu ihnen sprach. Ich hörte, daß er die Sage erzählte, aber nicht als Sage, sondern als Weissagung. Er war ein ehrwürdiger alter Priester, der in schöner Begeisterung redete und seine Hörer hinriß. Gern hätte ich ihm länger zugehört, aber der Mir, der sich vorgenommen hatte, mir alles zu zeigen, lenkte meine Aufmerksamkeit von ihm ab nach dem dunkeln Teil des weiten Raums, wo etwas in die Höhe stieg, was ich nicht erkennen konnte.
    „Dort ist der Platz für die Sänger und für die Orgel“, sagte er.
    „Eine Orgel ist da?“ frage ich erstaunt.
    „Ja“, antwortete er.
    „In diesem Land? In Ardistan?“
    „Warum nicht? Meinst du, daß es nur bei euch Orgeln gebe? Ich hörte, die Orgeln seien überhaupt hier bei uns im Morgenland erfunden. Erst gab es nur eine sehr, sehr kleine und uralte. Dann aber, jetzt gerade vor hundert Jahren, als die Berge brannten wie heute, schenkte der damalige Abd el Fadl, Fürst von Halihm den hiesigen Christen eine neue. Man sagt, sie sei in Anglistan gemacht und über Indien hierhergekommen. Wodurch der damalige Mir von Ardistan gezwungen worden ist, dies zu erlauben, das habe ich nicht erfahren können, selbst von meinem Vater nicht. Es waren fremde Menschen, die sie brachten und hier zusammensetzten. Dann gingen sie wieder fort.“
    „Wie sonderbar!“ sagte ich. „Und wie schade, daß man sie nicht sieht! Es

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