Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
25 - Ardistan und Dschinnistan II

25 - Ardistan und Dschinnistan II

Titel: 25 - Ardistan und Dschinnistan II Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
Vom Netzwerk:
war unstudiert und ungekünstelt. Was er sagte, kam aus dem Herzen und wurde unterwegs vom Verstand kristallisiert. Er war nicht etwa ein guter Redner, weil er gut sprechen konnte, sondern weil ein großer Gedanke, der Erlösungsgedanke, seine Seele derart füllte, daß er nach ganz natürlichem Gesetz überströmte und alles mit sich zog, was er dabei berührte. Ich wunderte mich gar nicht darüber, daß nach dem gesprochenen Segen und dem vollendeten Schlußgesang sich niemand eher entfernen wollte, als bis der alte, liebe Herr sich noch einmal, noch zweimal, noch fünfmal, noch zehnmal zeigte.
    Der Mir war voll befriedigt. Er dankte vor allen Dingen und zunächst Abd el Fadl und Merhameh. Mit dem Basch Nasrani konnte er jetzt nicht sprechen, weil dieser anderweitig in Anspruch genommen war. Da sah er die Leute aus El Hadd stehen. Er stutzte und ging dann auf sie zu. Dieses Stutzen hatte nicht den Grund, daß er sie kannte; er hatte sie noch nie gesehen. Ihre fremde, wenn auch außerordentlich kleidsame Tracht fiel ihm auf. Abd el Fadl kam schnell herbei und sagte ihm, wer sie seien. Da freute sich der Mir; man sah es ihm an. Er richtete das Wort an den Schech el Beled:
    „Ihr seid aus El Hadd? Ich liebe dieses kleine, schöne Ländchen, obgleich ich noch nicht dort gewesen bin und auch noch niemand von dort kenne. Ich weiß, seine Bewohner sind mir freundlich gesinnt. Sie haben, obgleich sie ebenso eng an Dschinnistan wie an Ardistan grenzen, niemals etwas gegen mich unternommen, sondern sich mir immer nur förderlich erwiesen. Du bist der Schech el Beled?“
    „Ich bin es“, bejahte der Schech.
    „So schulde ich doch wohl vorzüglich dir den Dank, zu dem ich mich verpflichtet fühle. Welches Glaubens bist du? Du trägst den Turban in der Hand, hier in der Kirche.“
    „Wir sind Christen.“
    „Bei wem wohnt ihr? Wo seid ihr abgestiegen?“
    „Im Karawanserei, wo jedermann wohnt, der fremd in der Fremde ist.“
    „Habt ihr Pferde?“
    „Nein. Wir sind arm. Wir kamen zu Fuß.“
    „Ihr seid nicht mehr fremd in der Fremde. Ich kenne euch nun und heiße euch willkommen. Ihr sollt meine Gäste sein. Für Leute, wie ihr seid, habe ich immer Raum genug. Es findet nach Verlauf von einer Stunde ein Weihnachtsmahl bei mir im Schloß statt; auch dazu seid ihr geladen.“
    Von diesem Mahl wußten wir noch nichts. Es war als besondere Festüberraschung geheimgehalten worden. Der Schech el Beled nahm diese Einladung durch eine Verbeugung an, die den freien Sohn der Berge erkennen ließ. Sie war höflich, aber nicht devot. Er gesellte sich, während der Mir sich mit den Seinen entfernte, zu Abd el Fadl und Merhameh. Ich aber trat nun an die Brüstung des Chors vor, um zu schauen, wie die Kirche sich entleerte. Es geschah das in ruhiger, sehr würdiger Weise. Auf jedem Gesicht war der Ausdruck der Befriedigung wohl gar der Begeisterung zu sehen. Ich zog hieraus die Berechtigung anzunehmen, daß von heute an sich das Verhältnis der Christen zu der übrigen Bevölkerung und zu dem öffentlichen Leben von Ardistan ganz anders gestalten werde als bisher. Der Mir hatte zwar kein einziges Wort über das Verhalten des Maha-Lama gesagt, aber es stand für mich fest, daß der bisher so mächtige Lamaismus heute wenn nicht seinen ganzen Einfluß, so doch einen ganz bedeutenden Teil desselben verloren habe. Legte man das, was das Christentum gewonnen hatte, darauf, so ergab es einen doppelt großen Abstand gegen früher.
    Die vor dem Altar stehenden Sänften waren, um etwaige Feindseligkeiten zu verhindern, von vorsichtigen, ruhigen Männern umringt worden. Darum konnten die Lamas nicht einsteigen. Sie mußten warten, bis die Kirche leer geworden war. Dann entfernten sie sich, vollständig unbeachtet, wie man nach einer verlorengegangenen Schlacht sich aus dem Staub macht. Da krachte jetzt plötzlich ein Kanonenschuß, noch einer, noch einer und so weiter. Das konnte nicht geschehen, ohne daß der Mir den Befehl hierzu gegeben hatte, und zwar nicht schon vorher, sondern soeben erst. Das war ein sicherer Beweis, daß die Feier tief und nachhaltig auf ihn gewirkt und ihn auf unsere Seite herübergezogen hatte. Ganz dasselbe sagte man sich auch draußen auf den Straßen. Ich hörte jubelnde Rufe und ging hinunter und hinaus, um einige der Gassen abzuschreiten und mich an dem frohen Weihnachtsgewirr zu erfreuen. Es war fast so hell wie am Tag. Laternen und brennende Lichter, illuminierte Türen und Fenster fast überall! Halef

Weitere Kostenlose Bücher