25 - Ardistan und Dschinnistan II
mich.
„Keinen einzigen Tropfen!“ erwiderte er.
„Aber das, was ich von dir und andern hörte, läßt vermuten, daß
Leute dort wohnen, Verbannte, Gefangene und also wohl auch Beamte,
welche Aufseherdienste verrichten. Alle diese Leute müssen doch Wasser
haben!“
„Das ist richtig. Sie bekommen es auch, aber nicht von dort, sondern
von weit her, wo es einen kleinen Brunnen gibt, der mehrere hundert Fuß
tief ist und dessen Wasser man mühsam heraufleiert, um es in eine
große, extra hierfür angelegte Zisterne laufen zu lassen. Aus dieser
wird es in Schläuche geschöpft und per Kamel nach der ‚Stadt der Toten‘
transportiert.“
„Wie weit ist diese von dem Brunnen entfernt?“
„Die Kamele brauchen zwei volle Tage, um hinzukommen.“
„Hin und zurück also vier Tage?“
„Ja.“
Er sah mich dabei ganz eigenartig an, ich ihn aber auch, denn es
drängte sich mir da ein Gedanke auf, der mir diesen Wassermangel in
einem nicht nur häßlichen, sondern geradezu gräßlichen Licht erscheinen
ließ. Man brauchte ja nur, um mißliebige Verbannte oder Gefangene
verschwinden zu lassen, für einige Tage kein Wasser nach der ‚Stadt der
Toten‘ zu schicken. Der Mensch verdurstet weit schneller, als er
verhungert. Ich aber war still hierüber und fragte weiter:
„So hätten wir uns an diesem Brunnen mit Wasser auf wenigstens vier
Tage zu versehen, um auf dem Rückwege zu ihm nicht unterwegs zu
verdursten?“
„So ist es!“
„Das ist schwer, sehr schwer! Wer soll das Wasser tragen, welches
wir für so lange brauchen? Und selbst wenn diese Frage wegfiele, der
‚Panther‘ würde es doch vereiteln, daß wir dem Verdursten entgehen.“
„Du glaubst, er will unseren Tod?“
„Ich glaube es nicht nur, sondern ich bin überzeugt davon! Er führt uns dem offenbaren Tod entgegen.“
„Oder ich ihn! Warten wir es ab! So weit ist mein Vertrauen zu ihm
doch nicht gegangen, daß ich ihm die Geheimnisse der ‚Stadt der Toten‘
verraten habe! Er kennt sie nicht und wird an ihnen zugrunde gehen! Was
will er jetzt? Warum winkt er nach vorn?“
Der ‚Panther‘ war nämlich aufgestanden, daß man ihn beim Regiment
sehen möge, und gab mit dem Arm das Zeichen, daß jemand kommen solle.
Wir erfuhren, daß er nach dem Hekim (Arzt, Feldscher) des Regiments
verlange, um sich die Löcher, die Halef ihm gestochen hatte, verbinden
zu lassen. Der Mir hatte nichts dagegen, daß dieses geschah. Nachdem
man ihm seinen Wunsch erfüllt hatte, war die Ruhezeit vorüber, und der
Ritt wurde fortgesetzt, ganz selbstverständlich in derselben Weise wie
vorher. Dabei geschah nichts, was ich als erwähnenswert bezeichnen
könnte, und da ich auch von der Gegend, durch welche wir kamen, nur das
eine zu sagen habe, daß sie immer öder und trauriger wurde, so will ich
kurz sein und nur erwähnen, daß man es darauf abgesehen hatte, den
Brunnen, von dem zwischen uns die Rede gewesen war, noch heute zu
erreichen. Der Ritt, den das erforderte, war aber ein so langer und so
angestrengter, daß wir unterwegs noch einige Male rasten mußten und
erst nach Mitternacht am Ziel anlangten. Von der örtlichen
Beschaffenheit des letzteren konnten wir nichts sehen, denn wir standen
jetzt am Ausgang des Neumonds, und es war also dunkel.
Die Pferde der Kavalleristen waren so müde, daß sie es wohl keine
Stunde länger ausgehalten hätten; die unserigen aber hatten die
Anstrengung vortrefflich überstanden. Der Befehl zum Lagern wurde
gegeben. Man bildete einen festgeschlossenen Kreis um uns, der so eng
war, daß wir uns das verbitten mußten. Der Gedanke lag nahe, daß man
sich während der Nacht ganz plötzlich auf uns werfen wolle, um unsere
Gefangenen zu befreien. Wir drohten ihnen, sofort weiterzureiten und
sie augenblicklich zu erstechen, falls man versuche, uns daran zu
verhindern. Das half. Die Soldaten zogen sich so weit von uns zurück,
daß wir uns vor jeder Überrumpelung sicher fühlen konnten. Trotzdem
fiel es uns aber nicht etwa ein, die gebotene Vorsicht außer acht zu
lassen. Wir schliefen nicht alle zu gleicher Zeit, sondern abwechselnd,
so daß immer einer von uns, der die anderen wecken konnte, wach und
munter war.
Als der Tag zu grauen begann, sahen wir, daß wir uns am Fuß eines
langgestreckten Hügelzugs befanden, der aus reinem, sehr hartem Felsen
bestand. Dieser Felsen, welcher sich jedenfalls tief unter die Erde
verlor, war die Ursache, daß sich hier trotz der allgemeinen
Trockenheit eine Quelle hatte bilden
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