25 Stunden
über den Hof schlenderten. Als er Frank und Monty kennen lernte, war er hin und weg von ihrem Brooklyner Akzent und ihren sorgsam zurückgekämmten Haaren, die im krassen Gegensatz zu den hier üblichen Fönfrisuren standen. Beide hatten sie massenhaft Schlägereien hinter sich, was Jakob mit Ehrfurcht erfüllte, denn er hatte sich noch nie geschlagen. Aber hier waren sie nicht in ihrem Element, waren sie verunsichert durch das vornehme Gehabe der älteren Schüler, eingeschüchtert durch den beiläufig zur Schau gestellten Reichtum. Sie stürzten sich sofort auf Jakob als einen Gleichgesinnten, der sich hier auskannte. Während der Eröffnungsfeier des Schuljahres stieß Monty ihn mit dem Ellbogen an und zeigte auf einen älteren Jungen, der ein paar Reihen weiter vorn saß. »Das ist ein Jackett von Ralph Lauren, das der Typ da anhat. Kostet vierhundert Dollar, das Teil.« Jakob freute sich über die sofortige Vertrautheit, über die Vermutung, dass sie aus ähnlichen Verhältnissen stammten und darum die Fassungslosigkeit darüber teilen konnten, dass jemand auf der High School ein Vierhundert-Dollar-Jackett trug. Drei Monate vergingen, bis Jakob seine beiden neuen Freunde in sein Apartment einlud. Er hatte Angst, sie könnten ihn mit dem Rest der verweichlichten Aristokraten ihres Jahrgangs in einen Topf werfen. Aber als Monty und Frank im Hause Elinsky einliefen, waren sie schon auf Partys in dreistöckigen Wohnungen auf der Fifth Avenue gewesen, in Stadtvillen auf der Park, in einem spektakulären Strandhaus in den Hamptons — und Jakobs Zuhause war zwar absolut vorzeigbar, aber klein kamen sie sich darin nun gar nicht vor.
Die anderen in der Klasse zeigten zunächst Verachtung für die Neuen, die »Förder«, Studenten, die staatlich gefördert wurden, zwei Iren, zwei Puertoricaner und vier Schwarze, die aus Brooklyn, Queens und der Bronx hierher verfrachtet worden waren. Die Lords der Outer Boroughs wurden sie zunächst getauft, ein Spitzname, den Monty sofort übernahm und durch seine Hip-Hop-Aussprachekorrektur laufen ließ; die Outta Büro Lordz waren bald die angesehenste Clique der Schule. Jakob genoss seinen Status als Ehrenmitglied, war sich jedoch stets bewusst, dass er doch in Central Park West wohnte, dass sein Vater Anwalt für Steuerrecht war, dass seine Kenntnisse über die Outer Boroughs sich auf das Yankee-Stadion im Norden und Kennedy, LaGuardia und seine Cousins in Forest Hill im Osten beschränkten.
Nun sind es Slattery und seine Kollegen, die in teuren Restaurants speisen, während Jakob in seinem Zehnquadratmeter-Apartment über seinen Grammatiktests hockt und Wasser für seine Spaghetti mit Tomatensoße aufsetzt. Jakob spielt dieses Spiel normalerweise sehr gern, das Spiel namens Mensch-gräme-dich-doch!, aber nicht jetzt, nicht heute Abend, nicht wenn sein Freund morgen früh ins Bundesgefängnis muss.
Endlich kommt Slattery wieder aus dem Badezimmer und trocknet sich mit einem Handtuch die Hände ab. »Startklar? Ich bin am Verhungern.«
Jakob greift zur Fernbedienung, schaltet aus und steht auf. »Was wird eigentlich aus Doyle?«
»Häh?«
»Wo kommt Doyle dann hin?«
»Oh... Keine Ahnung.« Slattery wirft das Handtuch auf das Sofa, öffnet einen Wandschrank und nimmt einenschwarzen Kaschmirmantel von einem Holzbügel. »Zu Nat?«
Jakob schüttelt den Kopf. »Kann ich mir nicht vorstellen.«
»Zu seinem Dad? Keine Ahnung, echt. Gefällt dir der Mantel? Hat mir jemand aus London mitgebracht.«
»Frank«, sagt Jakob und fummelt an seinen Nägeln herum, »hast du das drauf?«
»Was denn drauf?«
»Das heute Abend?«
»Weißt du«, sagt Slattery und knöpft den Mantel zu, »heute war ein dermaßen durchgeknallter Tag auf Arbeit, dass ich da überhaupt noch nicht drüber nachgedacht habe.«
»Ehrlich?«, fragt Jakob entsetzt. »Er ist dein bester Freund.«
»Das brauchst du mir nicht zu erzählen, Mann. Was erwartest du von mir? Wir gehen mit ihm aus, wir trinken ein bisschen was, was denkst du denn? Komm, lass uns losmachen. Deine Schnürsenkel sind offen.«
Jakob geht auf ein Knie, um sich die gummibesohlten Wanderstiefel zuzuschnüren. »Ich hab Angst, ihn zu treffen. Ehrlich, ich hab richtig Angst. Als würde man einen Freund im Krankenhaus besuchen, der Krebs hat. Was sagt man da? Er wird die nächsten sieben Jahre in einer Zelle verbringen. Was sagt man da zu ihm?«
Slattery zuckt die Schultern. »Weißt du was? Ich glaube, da sagt man gar nichts. Ich glaube, wir
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