25 Stunden
zu schauen.
Jakob sagt: »Oh.« Beinahe wird ein Oh nein daraus, aber Jakob macht den Mund zu, bevor ihm das nein entschlüpft.
»Was machen Sie denn hier? Himmel, ich wusste gar nicht, dass Sie überhaupt mal aus der Schule rauskommen. Ich dachte, Sie hätten ein Bett im Heizungsraum stehen oder so.«
Jakob blättert im Geiste mögliche Fluchtpläne durch. Er bleibt kurz bei Ich bin nicht der, für den Sie mich halten; ich bin Jakob Elinskys Zwillingsbruder hängen - aber als er es mit diesem Satz das letzte Mal probiert hat, wollte ihm niemand glauben, und dann hat er erst richtig in Schwierigkeiten gesteckt.
»Mary D'Annunzio«, sagt er, um Zeit zu schinden. Sie. trägt ein paar altmodische schwarze Jeans, die sie bis über die schwarzen Stiefel hochgekrempelt hat, einen falschen Waschbärpelzmantel und keine Kopfbedeckung; die feuchten schwarzen Haare ringeln sich ihr die Stirn und den Nacken hinab. Der schwarze Lidschatten ist ihr die Wangen hinuntergelaufen.
»Ja, genau. Mary Zwei-plus D'Annunzio.« Sie missversteht sein entsetztes Gesicht und fügt hinzu: »War nur einWitz, ist halb so schlimm. Die Story war ehrlich gesagt ziemlicher Schrott.«
»Ich muss gehen«, sagt Jakob. »Ich bin mit Freunden hier.«
»Ja, mit dem Typen, der mit dem Türsteher gesprochen hat, stimmt7 s? Was meinen Sie, könnte er uns reinschleusen?«
»Ähm, ich...«
»Die wollen niemanden reinlassen, weil es angeblich schon zu voll ist. Ich muss da aber unbedingt rein. Sind Sie ein Dusk-Fan?«
»Natürlich.«
»Er ist der absolute Bringer, nicht? Er bringt's total. Ich fass es nicht, dass Sie auf Dusk stehen! Keine Beleidigung, aber ich dachte, Sie stünden mehr auf Flöten oder...«
»Ich finde Dusk sehr gut«, sagt Jakob, »obwohl mir seine frühen Sachen besser gefallen.«
»Seine frühen Sachen?«
»Jake, was treibst du da?« Monty hat kehrtgemacht und bedeutet Jakob, sich zu beeilen. »Die halten extra die Tür für uns auf.«
»Ich bin Mary D'Annunzio«, sagt sie und lässt den Ärmel von Jakobs Mantel nicht los.
»Toll«, sagt Monty. »Komm, auf geht's, Kumpel.«
»Ich gehör zu Jake«, sagt Mary und legt ihren Kopf an Jakobs Brust. »Wir lieben uns.«
Jakob schließt die Augen.
Monty grinst. »Im Emst. Hab ich gar nicht mitgekriegt, dass ihr zwei zusammen seid. Na, dann komm mit, drinnen ist Platz genug.«
»Moment«, sagt Mary. »Ich bin noch mit drei Freundinnen hier.«
Monty starrt sie an. »Du bist noch mit drei Freundinnen hier? Dich haben sie wohl zu heiß gebadet. Willst du nun mit rein oder nicht?«
»Alles klar«, sagt sie. »Lieber eine als keine.«
Jakob hat die Augen immer noch geschlossen.
»Dann mal los«, sagt Monty zu ihr. »Setz deinen Liebsten in Bewegung und komm mit.« »Die kommen gleich nach«, sagt Naturelle und führt Slattery eine Treppe hinauf.
»Weißt du, wo du hingehst?« Slattery hat sich ihre beiden Mäntel über den Arm gelegt.
»Ich bin hier schon viel zu oft gewesen«, erklärt sie. »Aber die Musik ist gut.« Slattery ermahnt sich, den Blick auf die Stufen zu richten und nicht auf Naturelles silbergewandetes Hinterteil. Auf dem dritten Absatz missachtet er seine Ermahnung kurz, und schon ist er verloren, verliert er sich in dem prächtigen Geglitzer vor seinen Augen.
»Monty benimmt sich komisch«, sagt Naturelle.
»Ja.«
»Wir müssen ihn im Auge behalten. Ja? Frank?« Sie dreht sich um und schaut auf ihn hinunter. Er sieht zu ihr hoch und lächelt. »Hörst du mir zu?«
»Ihn im Auge behalten. Machen wir. Aber was meinst du mit komisch?«
Sie zuckt die Schultern und steigt weiter die Treppe hinauf. »Er benimmt sich eben total komisch. Findest du nicht, dass er sich komisch benimmt?«
»Ein paar Stunden noch, und er geht ins Gefängnis, Nat. Wie sollte er sich da deiner Meinung nach benehmen?«
»Er sollte sich so benehmen, als ob er Angst hat.« Sie führt Slattery durch eine graue Stahltür, und die Musik brandet über sie hinweg, eine Woge von Basstönen. Sie stehen auf einem langen Balkon, fünfzehn Meter über der Tanzfläche; sie halten sich am Geländer fest und schauen auf das Gewimmel von sich windenden Leibern hinunter.
»So voll hab ich den Laden noch nie erlebt«, sagt Naturelle. Slattery schüttelt den Kopf, die Musik übertönt alles. »Komm!«, ruft sie. »Hier lang!«
Er folgt ihr zum anderen Ende des Balkons, eine kurze Treppe hinab. Vor einem Samtvorhang steht ein Mann mit einer scheußlichen Brandnarbe auf der einen Gesichtshälfte, die
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