2500 Kilometer zu Fuß durch Europa
Als die Kirchenbesucher zu einer
Prozession werden, bemerke ich, dass vor allem viele ältere Menschen voller
Hoffnung in dieses Licht starren, und ich frage mich, warum so viele Menschen
im Alter religiös werden. Haben sie, losgelöst vom Zwang, sich ein Leben
aufzubauen, mehr Zeit, über immaterielle Dinge nachzudenken? Werden sie sich
der Unvollkommenheit ihrer Körper bewusst und flüchten sich darum in Geistiges?
Oder befassen sie sich darum eher mit religiösen Fragen als jüngere, weil sie
sich dem Tod näher fühlen? Mit einem Strauß ungelöster Fragen und bisher
unbekannter Eindrücke mache ich mich auf den Weg zurück zur Pilgerherberge.
Der Bandit der Berge
Pedro de Oyanederra war ein Großgrundbesitzer, der zusammen mit seiner Frau, seinen drei Söhnen
sowie Knechten und Mägden in der Nähe von Pamplona lebte. Eines Tages erkrankte
seine Frau. Hilflos musste Don Pedro Zusehen , wie
ihre Augen immer matter wurden. Kurz vor ihrem Tod verlangte sie mit letzter
Kraft nach ihrem Mann. Fest sah sie Pedro de Oyanederra in die Augen. „Mein Geliebter“, flüsterte sie so leise, dass ihr Mann sich nach
vorne beugen musste, um ihre Stimme zu hören, „so kurz vor dem Tod möchte ich
mich von einer Last befreien, die all die Jahre auf mir gelegen hat. Es ist
Jahre her, da habe ich Dich entehrt. Einer unserer Söhne ist nicht Dein Sohn. “
Pedro de Oyanederra stand wie vom Donner gerührt;
sein Gesicht verlor alle Farbe, seine Hände verkrampften sich. „Wer war es? Wer
hat das getan?", schrie er, „und welcher ist nicht mein Sohn?“. Bevor
seine Frau antworten konnte, stürmte er hinaus und rannte in die Schlafzimmer
der Kinder. „Kommt mit! Kommt alle mit Zu Eurer Mutter!“, befahl er ihnen,
Wahnsinn in den Augen. „Welcher ist es?“, schrie er wie von Sinnen. Seine Frau
schwieg. Da nahm der Gutsherr einen Strick, legte ihn den Kindern um den Hals
und band sie an einem metallenen Pfosten fest. Entgeistert starrten die Brüder
auf den vor Wut tobenden Vater. „Welcher von ihnen ist nicht mein Sohn?“,
schrie Don Pedro noch einmal. Seine Frau blieb stumm. Pedro de Oyanederra nahm eine Fackel und steckte das Anwesen in
Brand. Seine Frau und die Kinder verbrannten bei lebendigem Leib. Hilflos sahen
Knechte und Mägde zu, wie ihr Herr in die Stallungen stürmte, sich auf ein
Pferd schwang und hinaus in die Nacht ritt. In Abwesenheit wurde Pedro de Oyanederra in Pamplona für vogelfrei erklärt. Der Gejagte
jedoch blieb verschwunden. Allein durchstreifte er die Pyrenäen, und mit der
Zeit wurde er zu einem Wegelagerer. Aus dem noblen Gutsherrn Pedro de Oyanederra wurde Azeari Sumakilla , der Bandit der Berge. Im Laufe der Zeit scharte Azeari Sumakilla mehrere Dutzend
Gefährten um sich: Betrüger und Mörder, Geächtete und übergelaufene Mauren, die
über Jahre hinweg Zahlreiche Dörfer und Pilger der Region um Pamplona in Angst
und Schrecken versetzten.
Zu jener Zeit war die Stadt hart
umkämpft: Mit jedem Tag kamen die Franzosen einer Einnahme Pamplonas näher. An
der Spitze der Verteidiger der Baskenmetropole stand Don Garcia, seit seiner
Jugend Pedros bester Freund. Vor Jahren hatte Garcia dem Gutsherrn das Leben
gerettet, und als Pamplona endgültig in die Hände der Franzosen zu fallen
drohte, schickte er nach dem Banditenführer und bat ihn und seine
kampferprobten Männer um Beistand. In der kommenden Nacht griffen die Franzosen
an. Schreie ertönten vor der Burgmauer der Stadt, mit Feuern versuchten die
Angreifer die Einwohner auszuräuchern, als sich ihnen plötzlich die Kämpfer Azeari Sumakillas entgegenstellten. Als sich die Franzosen dieser wilden Horde gegenüber sahen,
deren Brutalität in der gesamten Region gefürchtet war, flüchteten sie nach dem
ersten Kampfgetümmel in die Berge. Azeari Sumakilla stieg in eines der Turmzimmer hinauf, um seinen
alten Freund Garcia wiederzusehen und fand dort dessen Schwester vor. „Was ist
mit meinem Bruder?“, fragte sie Azeari ängstlich,
„lebt er noch?“. „Ja, er ist am Leben. Wir haben die Feinde in die Flucht
geschlagen“, antwortete der Bandit selbstbewusst. „Wisst ihr, er hat heute
nicht sein Amulett mit dem Antlit z von Santiago getragen, das ihm schon oftmals vor dem sicheren Tod bewahrt
hat“. Bei diesen Worten hielt sie ein silbernes Amulett in die Höhe. Wie
gebannt starrte der Bandit der Berge auf das Kunstwerk. Der alte Wahn schoss in
ihm hoch. „Woher stammt dieses Amulett?“, fragte er mit seltsam
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