2500 Kilometer zu Fuß durch Europa
tonloser
Stimme. „Vor vielen Jahren, als ihr bei uns ein und aus gingt, brachte es mein
Bruder von einer seiner Schlachten mit“, antwortete sie, und Azeari erbleichte. Wie Schuppen fiel es ihm von den Augen.
„Mein Amulett, mein Amulett“, stammelte er, „vor Jahren habe ich dieses Amulett
meiner Frau geschenkt. Garcia also war es, mein bester Freund hat mich entehrt.
“ Damit stieß der Bandit der Berge einen Schrei aus, der durch den gesamten
Turm hallte und Garcia, der gerade im Begriff war, die Treppen emporzulaufen,
vor Schreck erstarren ließ. „Er weiß es!“, stieß er hervor, dann rannte er
hinaus in die tief dunkle Nacht.
Im Morgengrauen nahm Azeari Sumakilla die Verfolgung auf. Für den Bandit der
Berge war es ein Leichtes, den Entflohenen ausfindig zu machen. Als der
Erschöpfte Azearis Männer auf sich zukommen sah,
wusste er, dass es kein Entrinnen und keine Gnade gehen würde. Wie versteinert
sah er zu, wie Azearis Gefährten sein Grab aushoben.
Fast teilnahmslos stieg er in die Mulde, wo er lebendig begraben wurde, bis nur
noch sein Kopf herausragte. Mit einem Stein in der Hand trat Azeari Sumakilla vor seinen
besten Freund. „Wir verdanken uns gegenseitig unser Leben, aber jetzt muss die
Schuld getilgt werden, die all die Jahre ohne mein Wissen zwischen uns lag“,
sagte er ruhig „so werde ich wieder Pedro de Oyanederra werden, und ich hoffe, dass Gott die Sünden Azeari Sumakillas vergeben wird. “ Mit einer einzigen fließenden
Bewegung zertrümmerte er den Schädel Garcias. Kurz darauf fiel Pamplona in die
Hände der Franzosen.
Unterwegs nach Westen
Von hier an schlage ich mein Lager jede
Nacht ein kleines Stück weiter westlich auf, bis ich am Ozean ankommen werde.
Jeden Morgen scheint mir die Sonne wie eine Anfeuerung auf den Rücken, wenige
Stunden später zieht sie links an mir vorbei, um schließlich, kurz nachdem ich
mein Tagesziel erreiche, wie eine Verheißung rotgelb vor meinen Augen zu versinken. Umgeben von diesen Bewegungen, eingebettet in
den Wechsel von Tag und Nacht, von Sonne und Mond, komme ich mir klein und
unscheinbar vor, und doch fühle ich mich aufgehoben, seltsam behütet wie
niemals zuvor. Wenn ein neuer Tag die Nacht ablöst und die morgendliche Wärme
beginnt, sich in die ockerfarbenen Talkessel zu legen, erscheint mir das alles
so sinnvoll, so vollkommen durchdacht, so vollkommen. Der Jakobsweg in Spanien
ist anders, eingängiger, tief greifender, und ein Gefühl von Dankbarkeit
darüber, dass man diese Momente erleben darf, keimt auf. Vielleicht ist es das,
was die Pilger seit Jahrhunderten nach Nordspanien treibt: Das typische Gefühl
auf dem Jakobsweg ist Dankbarkeit, vermischt mit einer unerklärlichen
Geborgenheit, als sei man endlich zu Hause angelangt. Und dennoch ist man
unterwegs, morgen wird man wieder an einem anderen Ort sein. Vielleicht nimmt
man von hier an dieses Jakobsweg-Gefühl mit, löst es von diesem Ort ab und
zieht es in sein weiteres Leben. Immer unterwegs und dennoch zu Hause.
Destination Santiago.
Im Morgengrauen breche ich von Pamplona
auf. Der Jakobsweg führt mich zu einer Hügelkette, und als ich sie erklimme,
erstreckt sich dahinter eine Landschaft, wie ich sie noch nie gesehen habe:
Ockerfarbene, sonnenverwöhnte Felder, aus denen mir die Dörfer wie hineingemalt
entgegen leuchten, ziehen sich unter meinem Blick bis zum Horizont hin. In den
kommenden Tagen werde ich durch diese karge Ebene gehen. Mittlerweile sind mehr
und mehr Pilger unterwegs, und bis Puente la Reina begleitet mich eine junge
Ungarin, die sehr gut Deutsch spricht. Sie ist schlank und hoch gewachsen und
schleppt einen Sonnenbrand mit sich, der ihre ansonsten weiße Haut an beiden
Unterarmen dunkelrot gefärbt hat. Wohl um sich vor ähnlichen Widrigkeiten zu
wappnen trägt sie einen riesigen roten Hut, unter dessen Krempe ihr Gesicht
beinahe verschwindet. Was mich jedoch am Nachhaltigsten an ihr beeindruckt, ist
ihre Stimme. Vor jedem Satz lässt sie eine Sekunde verstreichen, als müsse sie
sich erst sammeln und ihre Antwort strukturieren, dann erst spricht sie,
langsam und bedächtig, reiht Wort an Wort, mit einer Stimme, die so zart ist,
dass sie zerbrechlich wirkt, als könnten die gehauchten Worte die Stimmbänder
angreifen. Ich ertappe mich dabei, wie ich ihr Fragen stelle, nur um dieses
Stimmenphänomen weiter verfolgen zu können, doch in Puente la Reina trennen
sich unsere Wege, denn ähnlich wie ihre Stimme sind auch
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