253 - Das Terror-Gen
her. Die Pilotin spitzte die Ohren. Mit zusammengekniffenen Augen spähte sie hinunter zu den Bäumen. Tatsächlich nahm sie dort eine Bewegung wahr. Ein Schatten huschte durchs Unterholz. Jetzt hörte sie sogar davoneilenden Schrittlärm.
Die Vermummten! , ging es ihr durch den Kopf. Sofort waren die Bilder wieder in ihrem Kopf, die sie bei ihrer Ankunft auf Guernsey zu sehen geglaubt hatte. Nein, die sie gesehen hatte , auch wenn die anderen ihr das nicht glaubten.
Im Nu war Cinderella Loomer auf den Beinen. »Stehen bleiben!«, schrie sie und rannte den Hang hinunter. Endlich würde sie beweisen, dass es sie wirklich gab - wer auch immer »sie« waren.
Sie stürmte zwischen die dunklen Stämme. Stapfte über weichen Untergrund. Kleine Äste und Buschwerk schabten über ihre Arme und Beine. Einen Steinwurf vor sich hörte sie keuchende und zischende Laute. In ihrem Rücken rief Sam nach ihr, »Hierher, Sam!«, antwortete sie ihm und lief weiter. Doch weit kam sie nicht. Ihre Stiefel verfingen sich in einem stacheligen Gewächs und sie schlug der Länge nach hin. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis sie sich endlich aus dem widerspenstigen Gestrüpp befreien konnte. Als sie wieder auf die Füße kam, war kein Laut mehr von der flüchtenden Gestalt zu hören.
Noch einige Minuten kämpfte sich die Pilotin durch das immer dichter werdende Dickicht. Schließlich gab es kein Weiterkommen mehr und sie trat fluchend den Rückweg an.
Unterwegs kam ihr Sam entgegen. Er schwenkte einen klobigen Knüppel in seinen Händen. Außer Atem, sah er sie besorgt an. »Bist du in Ordnung? Geht es dir gut?« Nachdem er sich vergewissert hatte, dass ihr nichts fehlte, linste er grimmig in den Wald. »Also gut. Wo ist der Kerl und was wollte er von dir?«
»Ich weiß noch nicht mal, ob es ein Kerl war«, erwiderte Cinderella brummig. »Ich konnte nur die Umrisse einer Gestalt sehen. Doch ich bin mir sicher, dass es sich um einen dieser Vermummten handelte.«
Sams Augen wurden schmal. Ein schwer zu deutender Ausdruck lag auf seinem Gesicht. »Fängst du schon wieder mit diesem Thema an. Auf Guunsay gibt es keine Vermummten. Wie oft soll ich dir das noch sagen.« Missmutig hievte er sich den Knüppel auf seine Schulter.
Enttäuscht von ihrer missglückten Jagd und gereizt von den brennenden Schrammen, war das nun das Allerletzte, was Cinderella von ihrem Freund hören wollte. Sie stemmte die Hände in ihre Hüften und baute sich wütend vor ihm auf. »Ich weiß, was ich bei meiner Ankunft auf eurer Insel gesehen habe. Vermummte waren es. Auch beim Château eures Lordkanzlers habe ich welche gesehen, und jetzt hier in diesem Wald. Und es treibt mich zur Verzweiflung, dass du und all die anderen so tun, als gäbe es sie nicht. Also raus mit der Sprache: Was hat es mit diesen Gestalten auf sich?«
Sam sah sie irritiert an. »Nichts hat es mit ihnen auf sich. Weil es sie nicht gibt. Sie existieren nur in deinem Kopf, Cinderella.«
Die Pilotin spürte, wie Zornesröte ihr Gesicht überzog. »Ach ja? Und was ist mit den Blut saugenden Ungeheuern, von denen die Leute unter vorgehaltener Hand reden. Gibt es die auch nur in meinem Kopf?«
Jetzt lachte Sam. »Du glaubst doch nicht wirklich an diesen Unsinn?«
»Doch, das tue ich. Nur halte ich sie nicht für Ungeheuer, sondern für kranke Menschen. Und es würde mich nicht wundern, wenn sich die Vermummten als Nosfera entpuppten. Nur frage ich mich, warum ganz Sainpeert ihre Anwesenheit so vehement leugnet.«
Ihr Freund war blass geworden. »Es gibt hier keine Nosfera«, erwiderte er mit versteinertem Gesichtsausdruck. Dann wandte er sich abrupt um und stapfte in Richtung Waldrand.
Cinderella rannte ihm nach. »Ich werde beweisen, dass es sie gibt!«
»Tu was du nicht lassen kannst.« Ohne sich noch einmal nach ihr umzusehen, verließ Sam den Wald und stieg die Anhöhe zu seiner Hütte hinauf. Cinderella Loomer folgte ihm nicht. Zornig schlug sie den Weg zur Werft ein. Die Sturheit von Sam machte sie wahnsinnig. Sie roch geradezu, dass hier etwas nicht stimmte. Wenn sie doch nur einen winzigen Anhaltspunkt finden könnte, der ihre Annahme bestätigen würde.
Wieder fiel ihr der Empfang beim Lordkanzler ein. Sie und Sir Leonard hatten sich nach dem üppigen Mahl im Garten des Châteaus die Beine vertreten. Ein scharrendes Geräusch hatte damals ihre Aufmerksamkeit auf eine Baumgruppe gelenkt. Nur für einen kurzen Augenblick waren dort zwei in Kutten gehüllte Männergestalten
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