253 - Das Terror-Gen
Tüchern überzogen. Während Sarah Kucholsky noch eine Blutprobe untersuchte, beförderte Lady Victoria Windsor das benutze Behandlungsbesteck in die Desinfektionswanne neben dem Fensterbord. Von draußen lärmte der erste Herbststurm an Läden und Tür des Lazaretthauses.
Es war die geräumigste der fünf Hütten, die Fahka mit den Gardisten des Lordkanzlers seit ihrer Ankunft gebaut hatte. Die Heilmethoden von Lady Kucholsky und Eve Neuf-Deville hatten sich schnell herumgesprochen und Dutzende Menschen ließen sich täglich hier verarzten. Anfangs kamen sie nur aus Sainpeert. Doch schon bald suchten auch die Leute aus den umliegenden Dörfern bei den beiden Frauen Hilfe und Rat. Nicht einmal Joonah und sein Schamane konnten sie davon abhalten. Als Entlohnung brachten sie Früchte, Korn und Geschirr. Viele boten auch tatkräftige Unterstützung beim Ausbau der Siedlung an. Im Augenblick halfen sie bei dem Bau einer Gästehütte, die neben dem Küchenhaus entstehen sollte.
Dort flackerte jetzt gerade die erste Öllampe im Fenster auf. Ihr einladendes Licht und der Gedanke an die Kochkünste des alten Jefferson zauberten ein Lächeln auf Victorias Gesicht. Der ehemaligen Queen erschien es immer noch wie ein Traum, an diesem Ort zu sein. Dass sie überhaupt noch lebte, grenzte an ein Wunder. Ohne Serum, ohne Bunkermauern und nach all dem Schrecklichen, was die Lords ihr angetan hatten. Dennoch hatten die vergangenen Erlebnisse tiefe Spuren an Leib und Seele der einstigen Regentin hinterlassen: Menschenansammlung waren ihr genauso unerträglich wie körperliche Berührungen.
Noch immer dachte sie mit Schaudern an den Empfang auf dem Château des Lordkanzlers zurück. So viele Leute, die sie von oben bis unten anstarrten, und dann dieser Sohn des Inselherrschers, der seine Finger nicht von ihr lassen konnte. Der knabenhafte Endzwanziger, der wegen seines Kleinwuchses Gundar der Kleine genannt wurde, machte ihr heftige Avancen. Ständig fragte er, wie eine so schöne Frau keinen Begleiter haben könne. Als er sie dann noch zwischen all die Menschenleiber auf die Tanzfläche drängte, war es um die Fassung der ehemaligen Queen geschehen: Nach Atem ringend war sie zusammengebrochen.
Seither hatte sie das Technodorf nicht mehr verlassen. Doch sie litt kaum darunter. Hier fühlte sie sich geschützt. Lenkte gemeinsam mit Leonard die Geschicke der kleinen Community und ging, trotz der vielen Fremden, ihrer Arbeit im Lazaretthaus gerne nach. Eigentlich ging es ihr mit jedem Tag besser. Und irgendwann würde sie auch wieder Sainpeert besuchen können. Irgendwann!
Seufzend wandte sie sich vom Fenster ab und machte sich daran, die zu Binden zusammengerollten Stoffstreifen in den Schrank zu packen. Mit einem Mal flog neben ihr rumpelnd die Eingangstür auf. Ein kalter Luftzug fegte durch den Raum.
Es war Leonard, der eintrat. »Verfluchter Sturm«, brummte er und verschloss mit einem kurzen Kopfnicken in Victorias Richtung das hölzerne Portal. Ein angespannter Ausdruck lag auf seinem Gesicht. Er streifte seinen knöchellangen Regenumhang ab und fingerte am Sitz seines weinroten Halstuchs herum, das seit Neuestem zu seiner Ausstattung gehörte. Dann trat er zu Sarah, die fast reglos an ihrem Arbeitstisch brütete. »Was hast du rausgefunden?«, wollte er wissen.
Die Biogenetikerin schien seine Anwesenheit gar nicht zu registrieren. Konzentriert blickte sie weiter durch das Okular ihres Mikroskops. »Seltsam«, murmelte sie abwesend und notierte einige Daten in das kleine Buch, das Wolter Wallis ihr geschenkt hatte.
»Was ist es?«, wollte Gabriel wissen. Als er keine Antwort erhielt, begann er ungeduldig hinter dem Stuhl der Wissenschaftlerin auf und ab zu gehen.
Victoria warf ihm einen verstohlenen Blick zu. Sie wusste, dass Leonard Sarah am Mittag einen blutgetränkten Lappen von seinem Jagdausflug mitgebracht hatte. Das Blut darauf stammte von einem Tier, das sich wohl seltsam verhalten hatte. Der Prime hatte es erlegt und wollte nun wissen, ob es krank gewesen war.
Solche Blutanalysen waren an sich nichts Ungewöhnliches. In den ersten Wochen hatten die Technos sie regelmäßig mit dem Blut von Wakudas, Kamaulern, Fasaans und Wisaaun durchgeführt. Die Ergebnisse waren stets unauffällig gewesen. Doch Gabriels Nervosität ließ Schlimmes erahnen. Sollte auf der Insel eine Seuche ausgebrochen sein?
»So ein Blutbild ist mir bis jetzt hier noch nie untergekommen.« Lady Kucholsky löste ihr Gesicht vom
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