257 - Die Spur der Schatten
inmitten der stürzenden Trümmer wirbelte der kleine Körper eines Mädchens: Ann.
Matt fuhr aus dem Schlaf hoch. Kalter Schweiß stand auf seiner Stirn, sein Herz raste. Er setzte sich auf und zwang sich, tief durchzuatmen. Nur ein Albtraum wegen deiner Sorge um Ann , sagte er sich, mehr nicht, also schlaf weiter.
Doch er fand keine Ruhe mehr, immer stand ihm das entsetzliche Traumbild vor Augen, ständig fing sein Herz erneut an zu klopfen. Sollte er Aruula wecken und mit ihr darüber reden? Besser nicht. Es ist nur ein dummer Traum gewesen, was soll sie dazu schon sagen? Höchstens, dass Ann mir derart im Kopf herumgeht, dass ich es nicht erwarten kann, sie zu sehen.
Minuten später trieb ihn die Unruhe aus dem Rundzelt. Leise rieselte der Schnee. Noch bedeckte er nicht ganz den Boden; ein löchriges Leintuch schien über der kleinen Lichtung zu liegen, auf der sie ihr Lager aufgeschlagen hatten. Alles war still.
Trotzdem: Irgendetwas beunruhigte ihn; wie eine böse Vorahnung fühlte es sich an. Die Empfindung an sich selbst irritierte Matthew fast mehr als ihr Inhalt - er war eigentlich nicht der Mann, den Vorahnungen beschlichen oder der etwas darauf gab.
Die Stimme der Seherin meldete sich in seinem Kopf zu Wort: Was du dir vorgenommen hast, tue schnell und ohne Zögern! Sonst könnte es zu spät sein… Er bereute es, nicht schon gestern Abend ins Dorf gegangen zu sein, gleich nach der Landung.
Zurück im Zelt, kramte er seinen Driller aus dem Gepäck, leise, damit Aruula nicht aufwachte. Er zog den größeren der beiden Pelzmäntel, die Jed Stuart ihnen mitgegeben hatte, aus dem Kleiderbündel und schlüpfte hinein. Danach schlich er aus dem Zelt. Beim heruntergebrannten Lagerfeuer legte er neue Scheite nach und blies in die Glut, bis erste Flammen aufflackerten. Er füllte noch rasch eine Kanne des Campinggeschirrs mit sauberem Schnee und stellte sie an den Rand der Feuerstelle. Dann stapfte er den bewaldeten Hang hinauf und machte sich auf den Weg ins Dorf.
Ich gehe nur bis zum Dorfrand , sagte er sich. Nur so weit, dass ich sehen kann, ob alles friedlich ist. Dann kehre ich zu Aruula zurück, noch bevor sie aufwacht. Bis dahin kocht auch das Wasser und ich wecke sie mit einer Tasse Kaffee.
Er ließ den steilen Waldhang hinter sich und erreichte die Kuppe der Hügelkette, die hier die Küste säumte. Das rauschende Meer war eine schwarze Fläche, begrenzt von einem hellen, schneebedeckten Strand. Matt Drax blickte nach Osten: Ein milchig-grauer Streifen schob sich am Horizont in den Nachthimmel. Noch höchstens eine Stunde bis Sonnenaufgang. Er musste sich beeilen, wollte er rechtzeitig zurück sein.
Bald fiel er in einen Laufschritt, so sehr beunruhigten ihn das schreckliche Traumbild und die Erinnerung an die Worte der Seherin. Die dünne Schneedecke schloss sich nach und nach; schon hinterließ Matt Spuren im Schnee.
Nach etwa vierzig Minuten näherte er sich dem Dorf. Noch sah er nicht einmal die Umrisse der ersten Häuser, doch er hörte Schafe blöken und Hunde bellen. Aufmerksam lauschend folgte er den Tierlauten. Sie wurden lauter, und dann…
Erst konnte er es nicht glauben, doch dann durchfuhr ihn heißer Schrecken: Ein Fauchen und Brüllen wie von Raubtieren mischte sich unter das wütende Hundegekläff und das jämmerliche Blöken der Schafe! Nicht die friedliche Stille eines neuen Morgens beherrschte das Küstendorf, sondern Kampf und Todesgefahr!
Bald sah Matt Drax Umrisse von Mauern und das Brettertor einer Koppel. Dahinter drängten sich Tiere. Einige Schafe hatten sich auf den Hinterläufen aufgerichtet, trommelten mit den Vorderhufen gegen das Gatter oder versuchten gar, sich über das Tor zu ziehen. Warum ließ man die Schafe trotz Schneefalls im Freien? Blanke Verzweiflung schien unter den Tieren zu herrschen. Hatten die Hirtenhunde sich gegen die Schafe gewendet? Waren Raubtiere über die Koppel gesprungen? Und warum kümmerte sich keiner der Dorfbewohner um die blökenden Tiere? Die nächsten Hütten und Häuser standen kaum einen Steinwurf weit von der Weidemauer entfernt.
Endlich erreichte Matt Drax das Koppelgatter. Im ersten Licht des Morgengrauens sah er eine gedrungene Raubkatze von der Größe eines Lupas hinter der Menge der Schafe, die sich vor dem Gatter drängten. Der braun und schwarz gefleckte Räuber hatte seine Zähne in die Flanken eines der Schafe in der letzten Reihe geschlagen.
Nicht weit entfernt sprangen kläffende Hirtenhunde eine weitere Raubkatze
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