2579 - Der Spieler und die Toten
Uns, dass Ihr Uns gegenüber nicht im Zorn verharrt. Und ja - für einen Moment
habt Ihr in Uns mehr gesehen, als Wir je bereit gewesen sind zu zeigen.«
PRINZESSIN: »Wenn wir schon bei den Geständnissen sind: Es hat mir sehr
gefallen, was ich sah.«
BOTE: »Eben noch voller Angst und Schrecken, macht Unser Herzen ein freudiger
Sprung! Gibt es eine Möglichkeit, wie Wir Euch Unsere Dienste anbieten können?«
PRINZESSIN, lächelnd: »Oh, ich bin sicher, uns fällt etwas Passendes ein.«
Das mahnende Schauspiel vom See der Tränen, 3. Akt, 3. Szene (Auszug)
6.
Im Kaleidoskop der Pararealiäten
Vom Bruchteil einer Sekunde zum anderen veränderte sich die Situation so grundlegend, als
hätte jemand in einem Bildband eine neue Seite aufgeschlagen.
Alaska Saedelaere fand sich in der Halle der Harmonie wieder.
Er sah an dem halb zerstörten Gemäuer hoch, erblickte den letzten der mächtigen Löwenflügler,
der auf seinem Sims saß und seine langen, ledrigen Schwingen herunterhängen ließ. Der
drachenähnlich geschuppte Schwanz zuckte in unregelmäßigen Abständen.
Das Würdetier wachte im Halbschlaf über den König.
Die restlichen elf Simse waren leer; an einigen klebte Blut.
Saedelaere erinnerte sich, bereits einmal in der Halle der Harmonie gewesen zu sein; vor
undenkbaren Zeiten.
Damals hatte er das stolze Gebäude allerdings nur als Kulisse im mahnenden Schauspiel gesehen.
Dafür hatte er es in seiner vollen Pracht erleben können.
Nun war er zum ersten Mal persönlich anwesend - und die Halle nur mehr eine ekelhaft stinkende
Ruine.
Der Maskenträger blickte an sich hinunter. Er trug die elegante schwarze Kleidung eines
Grafen. Die Absätze der schmalen Stiefel versanken im fingerdicken Teppich, der zum Thron führte.
An einigen Stellen stiegen dünne Rauchfäden aus dem Teppich.
Fliegende Funken aus den brennenden Wäldern hatten sich darin niedergelassen und glommen so
lange, bis sie entweder erloschen oder aber zur hungrigen Flamme erstarkten.
Ein einarmiger Diener eilte mit einem Besen umher, um die Halle notdürftig vom Staub und Dreck
zu befreien. Eine Sisyphusarbeit, da von draußen mehr Rußfetzen hereinflogen, als er wegwischen
konnte.
Gleichzeitig war es ein pietätloser und völlig widersinniger Akt, wie der Terraner beim
Anblick der mit dünnen Tüchern bedeckten Leichen von Mitgliedern des Hofstaates bemerkte.
Offenbar versuchte der König einen letzten Rest majestätischer Würde zu bewahren - und führte
den Versuch gleich selbst ad absurdum.
Der Gestank des verwesenden Fleisches war bestialisch. Saedelaere wünschte sich, der Stoff der
Maske hätte an der Nase keine Öffnungen.
Die anderen Löwenflügler waren gleich beim ersten Angriff getötet worden, als sie den
Angriffsdrohnen mit ihren bloßen Klauen und Reißzähnen entgegengeflogen waren.
Jahrzehntausendelang hatten sie die Königinnen und Könige des Reiches der Harmonie überwacht
und sie mit ihrem Glück gesegnet - innerhalb weniger Sekundenbruchteilen waren sie in den
Thermostrahlen der Angreifer verbrannt und umgekommen.
Nun lagen sie draußen. Ihre Kadaver verrotteten unter den unerbittlichen Zwillingssonnen und
lockten Aasfresser vom halben Kontinent herbei.
Alaska Saedelaere nahm einen weiten Schritt, um nicht auf eine abgetrennte Hand zu treten, die
auf dem Teppich lag.
Unbewusst griff er sich an den Hinterkopf und überprüfte den Knoten, mit dem er das Maskentuch
befestigt hatte. Der Degen schwang bei jedem Schritt an seiner linken Hüfte.
»Majestät!«, rief er dem König entgegen.
Er dachte kurz an das Gespräch zweier Ammen, das er gehört hatte, während er vor dem Tor
wartete. Sie hatten darüber gemunkelt, dass der alte Regent vor lauter Gram den Verstand verloren
hatte, nachdem seine Tochter bei einem Angriff ums Leben gekommen war.
»Was willst du hier?«, rief der König. Er erhob sich, zeigte zornig mit seinem Zepter auf
Saedelaere. »Solltest du nicht draußen sein, deinen Flugsaurier satteln, dem Gegner
entgegenfliegen?«
Der Thron stand leicht erhöht auf einem mit Gold und Edelsteinen besetzten Podest. Ein
blasenartiges, schwach schimmerndes Gewebe umgab König, Thron und Podest. Ein Schutzschirm. Der
König traute niemandem mehr.
»Ich bringe Kunde von Sirantoga«, erklärte Saedealere. »Wir haben alles verloren!«
Der König schlug mit seiner Faust auf die linke Lehne des Thrones. »Ihr seid unfähig!«, keifte
er.
Weitere Kostenlose Bücher