2581 - Wunder in Gefahr
wenn Agrester für
unbestimmte Zeit in eine Selbstfindungs-Subroutine zurückgeworfen worden war, sollten sich
inzwischen wieder klare Denkprozesse herausgebildet haben.
Was hinderte ihn also daran, seinen Posten einzunehmen?
Furcht.
Vor Veränderung, vor der Verwandlung, die kürzlich eingesetzt hatte. Furcht vor dem, was in
ihm rumorte, heranwuchs und mit Macht hinausdrängte.
Nein! Er wollte kein anderer werden. Kein Monstrum, das Kräfte entfesselte, die es
nicht zu beherrschen vermochte. Dann lieber schlafen - oder sterben.
Agrester heulte lautlos. Solche Gedanken lagen ihm fern! Sie passten absolut nicht zu seiner
Aufgabe. Wo kamen sie her, wenn nicht von ihm selbst?
Gab es etwa ... einen Zweiten, ihm Ähnlichen? Ein Pendant am anderen Ende der immateriellen
Zündschnur?
*
Die Vorstellung war absurd. Es existierte immer nur ein Stalwart. Einer genügte.
Und doch ... Die Theorie erschien Agrester wert, verfolgt zu werden. Hätte er sich bloß besser
konzentrieren können!
Zu viele Leibwächter liefen Gefahr, sich gegenseitig im Weg zu stehen. Wie bei den Köchen, die
den Brei verdarben.
Wieso Brei?
Der Begriff stammte aus der Nahrungsmittelkunde. Agrester verwendete ihn allerdings
selten.
TALIN ANTHURESTA versorgte den Stalwart mit Energie. Er benötigte keine feststoffliche
Nahrung; sehr wohl aber eine Hülle, die ihm die Gliedmaßen, Organe und Fertigkeiten verlieh,
Aktionen zu setzen.
Ach, könnte er sich dazu durchringen, seine Wahl zu treffen und endlich in irgendeinem Körper
verweilen! Fürs Erste spielte es ja gar keine große Rolle, in welchem: Prinzipiell waren alle
geeignet.
Warum bewältigte er diese simpelste aller Übungen nicht? Was lenkte ihn immer wieder davon ab,
scheuchte ihn stets zur nächsten Verkleidung weiter?
Oder sollte die Frage vielmehr lauten: Wer?
Agrester fokussierte seine Willenskraft auf die Hypothese, er würde tatsächlich von einem wie
auch immer gearteten Widerpart blockiert. Die hochgradige Unwahrscheinlichkeit einer solchen
Konstellation stellte er fürs Erste hintan; ebenso das Faktum, dass er nicht die geringste Ahnung
hatte, wie ihre mentale Verbindung beschaffen oder zustande gekommen war.
Bisher hatte er sich bemüht, die fremdartigen, fragmentarischen Eindrücke, so gut es ging, zu
verdrängen. Nun blendete er sie nicht länger aus, sondern ließ sich bewusst darauf ein.
*
Er lauschte. Was er empfing, ergab wenig Sinn.
Fernkommunikation war Agrester vertraut. Auch ohne Aktionskörper tauschte er mit mehreren
Rechnereinheiten per Funk Informationen aus.
Dabei wurden saubere, exakt definierte und portionierte Datenpakete übermittelt. Von seinem
unbekannten Vis-a-vis hingegen kam schwammiges, chaotisches Wirrwarr - fast so, als sei der
andere nicht bei Besinnung.
Oder als handle es sich um ein biologisches Intelligenzwesen, welches, wie hieß das noch
gleich ... träumte!
Im Widerspruch dazu stand, dass Agrester über keinerlei telepathische
Fähigkeiten verfügte. Von sich aus konnte er die Ängste und konfusen Erinnerungsfetzen des
Fremden nicht »lesen« - es sei denn, dieser zwang sie ihm unwillkürlich auf.
Warum? Und warum ihm?
Erste mögliche Erklärung: reiner Zufall. Dafür würde sprechen, dass Agrester so gar nicht
darauf vorbereitet war. Weil niemand mit einem derartigen Ereignis gerechnet hatte.
Zweite Begründung: Zwischen ihm und dem Störenfried bestand eine gewisse Verwandtschaft.
Mehrfach war angeklungen, dass der Delirierende sich ebenfalls als Beschützer sah.
Oder steckte, drittens, hinter alldem nicht doch ein raffinierter Plan, das Wunder von
Anthuresta zu sabotieren - eventuell in Komplizenschaft mit den Eindringlingen?
*
Zwei Kleingruppen von ihnen bewegten sich frei im Handelsstern, entnahm Agrester den
Beobachtungen diverser automatischer Überwachungsanlagen.
Da keine Identifikation vorlag, musste ihr Status derzeit als offen eingestuft werden. Befugt
oder unbefugt, sie hatten Fogudares Tod verschuldet, was ja wohl als feindseliger Akt zu werten
war.
Das Raumschiff, mit dem sie nach TALIN ANTHURESTA gekommen waren, stellte momentan, obwohl von
relevanter Größe und teils hoch entwickelter technischer Ausstattung, keine Gefahr dar. Es war an
der Oberfläche des Handelssterns verankert und wurde von einem Energiefeld umschlossen, welches
die Bordsysteme gezielt unterdrückte und die Lebensfunktionen der gesamten Besatzung außer Kraft
Weitere Kostenlose Bücher