2592 - Im Zeitspeer
haben sie schon recht. Niemand - außer dir, dem Zukünftigen.«
»Wieso?«
»Weil es sich um einen schier endlosen Gang handelt. Er erstreckt sich über Jahrmillionen. Die Abstände zwischen den Lebenskörnern variieren, die Tunnelstücke sind daher unterschiedlich lang. Wir rechnen mit einer >reinen Gehzeit<, die zwischen 300.000 und drei Millionen Jahre beträgt.«
»Das ... das ist absurd. Das meinst du nicht ernst.«
»O doch. Anders sind die tiefer in der Vergangenheit liegenden Zeitkörner nicht erreichbar. Diese enormen Distanzen kann nur jemand überwinden, dessen Körper keinerlei Verschleißerscheinungen zeigt. Unsere Roboter bleiben, so perfekt sie auch gefertigt wurden, irgendwo auf der Strecke liegen. Wir haben Hunderte in den Tunnel geschickt; keiner kehrte zurück.«
Tiff schauderte. Nein, dachte er. Nein und nochmals nein.
»Normale Lebewesen kommen genauso wenig in Frage. Sie altern. Selbst sehr Langlebige kämen nur ein paar Jahrtausende weit.« Die Monarchin stupste Tifflor an. »Du aber, Zukünftiger, du alterst nicht.«
»Schwachsinn!« Er vermeinte, aus seiner Haut fahren zu müssen. »Mein Zellaktivator funktioniert nicht mehr. Und wer hat ihn ausgeschaltet? Ihr!«
»Der Jahrmillionentunnel«, sagte Duleymon ungerührt, »ist durchgehend mit einer speziellen Form von Vitalenergie geflutet, die Stoffwechsel und Schlaf unnötig macht - allerdings ausschließlich für Träger eines Implantats, wie es unterhalb deines linken Schlüsselbeins sitzt. Du, Julian Tifflor, nur du, kannst durch diesen Tunnel gehen.«
8.
Das Artefakt
»Schwachsinn!«, wiederholte er mit flacher Stimme. »Absoluter Schwachsinn. Das fängt schon damit an, dass ich erst nach zehn, nein: zwanzig Millionen Jahren, ich müsste schließlich auch wieder zurück, mit den Perianth- Schlüsseln hier eintreffen würde. Vorausgesetzt, ich finde sie überhaupt.«
»Falsch. Zeit ist relativ. Von außen gesehen, also aus meiner Kruste, dauert die Durchschreitung jedes Tunnelabschnitts wenige Stunden. - Bist du schon einmal im Polyport-Netz gereist?«
Tiff nickte. In seinem Kopf jedoch dröhnte es: Nein! Sag Nein zu diesem Irrsinn. Das stündest du nicht durch. Niemand steht so etwas durch und bleibt bei Verstand!
»Die Technologien sind verwandt«, sagte Duleymon. »Bei einem Transport via Transferkamine entspricht der subjektiv erlebte Zeitablauf nicht der zurückgelegten räumlichen Distanz.«
»Dabei wirkt sich die zeitliche Wahrnehmung aber wesentlich angenehmer aus.«
Niemand steht so etwas durch ...
»Wer immer das so gedeichselt hat - ich war es nicht. Mir kannst du keine Schuld geben. Ich leide selbst genug unter den Konsequenzen.«
»Mir bricht das Herz.« Tiff sah auf die Uhr. »Bald.«
»Im Jahrmillionentunnel«, sagte die Monarchin, »wird dein Alterungsprozess angehalten. Mehr noch, dein Zellschwingungsaktivator lädt sich wieder auf. Jedes Mal wenn du aus dem Langen Gang in ein Zeitkorn überwechselst, steht dir wieder die volle RestKapazität zur Verfügung.«
»Zweiundsechzig Stunden?« Tiff fasste es nicht. »Du willst damit sagen, der Countdown beginnt bei jeder Zwischenstation von Neuem?«
»Schrei nicht so. Ich habe diese Regel nicht gemacht. Aber ich kann dich beruhigen. Die Lebenskörner sind zwar gleich aufgebaut, jedoch nicht von identischer Ausdehnung. In vielen wirst du rascher ans Ziel gelangen als hier, zumal ich dich selbstverständlich mit einem Detektor ausrüste.«
Sag Nein. Sag Nein, Julian! Finde Ausflüchte, verweigere dich.
»Mir will immer noch nicht einleuchten, wieso dir so präzise Informationen über den Gesamtaufbau des Zeitspeers vorliegen, da doch noch nie jemand auch nur bis zum nächsten, angrenzenden Zeitkorn vorzudringen vermochte. Durch eure Zeitfenster sieht man bloß einen winzigen Ausschnitt. Auch die Überlieferungen der versprengten Völker müssen zwangsweise lückenhaft sein und können beispielsweise kaum etwas über die Bedingungen im Inneren des Jahrmillionentunnels enthalten.«
»Schon richtig. Uns steht jedoch noch eine weitere, diesbezüglich ergiebigere Quelle zur Verfügung.«
»Lass mich raten - die ominösen Fährtenbücher.«
»Wo es geschrieben steht.«
»Das habe ich nun bereits zur Genüge gehört. Aber woher stammt diese Prophezeiung? Wer hat sie verfasst?
Wann? Nicht zuletzt: warum?«
*
Tendenziell liege er richtig, bestätigte Duleymon. In den Lesegeräten der KyBaracken fänden sich bloß Auszüge des Urtextes.
»Das Original ist
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