2592 - Im Zeitspeer
diesem Fall andersrum: Die Vatrox hatten einen Köder, eine Leimrute ausgelegt; und prompt war er kleben geblieben.
*
Die Mündung des Tunnels wirkte ganz und gar unspektakulär: ein Höhleneingang in einer Bergflanke, fünf Meter breit und drei hoch. Links und rechts davon standen je zwei Darturka.
»Wir sind die Heimlichen erster Klasse, Krepsh und Velrit. In unserer Begleitung befindet sich der Zukünftige, der den Langen Gang in Angriff nehmen wird zur Glorie Duleymons der Siebenundsechzigsten, auf dass sich die Weissagung der Fährtenbücher erfülle.«
»Wissen wir«, knurrte der Rechtsaußen der Klonsoldaten. »Kann passieren.«
»So trennen sich«, sagte Krepsh, auf den Zehenballen wippend, zu Julian Tifflor, »für eine Weile unsere Wege.«
»Wir wünschen dir Glück«, sagte Velrit. Sie zwinkerte verschwörerisch.
Tiff schüttelte den Gnomen die knochigen Hände. Er hatte das Gefühl, ferngesteuert die Hauptrolle in einer vollkommen surrealen Inszenierung zu spielen. Konnte denn niemand nachempfinden, worauf er sich einließ?
Da klaffte die Öffnung auf. Da wartete der Jahrmillionentunnel, gierte danach, ihn mitsamt Haut und Haar und jedem Rest von Vernunft zu verschlingen.
Es war ...
Es war pervers. Reiner Wahnsinn. Kindischer Trotz.
Ich bin nicht zum Vergnügen hier, versuchte Tiff sich einzuschärfen. ES, die Superintelligenz, muss gerettet werden, sonst droht der Menschheit und allen sonstigen Bewohnern ihrer Mächtigkeitsballung unvorstellbares Unheil. ES benötigt die Psi-Materie des PARALOX-ARSENALS. Niemand außer mir kann sie beschaffen.
Er hätte die Last der Verantwortung auf seinen Schultern spüren sollen, aber er spürte gar nichts. Es erklangen auch keine dramatischen Akkorde, als er sich einen Ruck gab und ins fahle Licht des Tunnels trat.
»Wir sehen uns wieder!«, rief Velrit ihm nach. »Schon bald!«
Ja sicher. Schon bald.
*
Wie sollte man gehen, welches Tempo anschlagen, wenn man wusste, dass man Millionen von Jahren unterwegs sein würde?
Der Tunnel verlief schnurgerade. Die Wände waren von derselben Beschaffenheit wie jene der Zelle im Temporalmantel: weiß, weich, wattig faserig, ohne irgendwelche unterscheidbaren Merkmale.
Julian Tifflor ging, setzte Fuß vor Fuß, und die Umgebung veränderte sich nicht. Nicht im Geringsten. Er ging, ging dahin, einfach so, als hätte er nichts anderes zu tun.
Etwas später bemerkte er, dass er aufgehört hatte zu atmen. Aha, die Auswirkungen der Vitalenergie.
Der Kolben des Sturmgewehrs, dessen Gurt er sich umgeschlungen hatte, schlug gegen seinen Rücken. Rhythmisch, bei jedem zweiten Schritt. Aber der Anprall verursachte keine Schmerzen, keine Abschürfung, keinen Bluterguss.
Aha, die Auswirkungen der Vitalenergie.
Er ging dahin. Wie lange war er unterwegs? Tiff hob, ohne anzuhalten, den linken Arm und blickte auf die Uhr: viereinhalb Stunden. Kein Hunger, kein Durst. Auch das die Auswirkungen der Vitalenergie.
Na, das war doch schon was.
Er hatte immer gedacht, »Zeitdruck« würde bedeuten, dass man zu wenig Zeit hatte. Aber zu viel - zu viel war noch viel schlimmer.
Die Monotonie des Dahinschreitens ... Strebten nicht alle historischen Zen-Gurus der Menschheit, alle arkonidischen Dagor-Meister, alle Panish Panisha der Upanishad einen solchen Zustand an?
Nur gehen, gehen, gehen, ohne zu ermüden, ohne jedwede Ablenkung, einfach gehen, linker Fuß, rechter Fuß ... Reduziert auf das Wesentliche: sich selbst.
Tifflor horchte in sich hinein. Während er ging und ging. Endlich Zeit, Zeit im Überfluss, sich selbst zu entdecken.
Aber so tief er auch grub, er fand nichts, was ihn überrascht oder gar fasziniert hätte. Ihm war langweilig.
Er war langweilig.
*
Niemals stehen bleiben, hatte er sich eingeprägt. Und möglichst selten auf die Uhr sehen. Sie zeigt ohnehin nichts Relevantes an.
Einmal standen die Zeiger - denn natürlich sah er trotzdem immer wieder hin - so, einmal so, beim nächsten
Mal wieder anders. Irgendwann fand Tiff Zerstreuung darin, die jeweiligen Positionen dem Flaggenalphabet zuzuordnen.
Meist ergaben sich daraus sinnlose Buchstabenfolgen. Später übersetzte er sie wieder in Zahlen, eins für A, zwei für B und so weiter, quadrierte die Ergebnisse, führte alle Rechenoperationen aus, die ihm sonst noch einfielen ...
Später, da war er sicherlich schon ein halbes Jahr auf Achse, wenn nicht wenigstens drei Wochen, formierten sich die Ziffern vor seinem geistigen Auge zu lustigen
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