260 - Fly me to the moon
antun, keine Sorge. Wir sind Freunde.«
»Freunde, ja.« Natal entspannte sich. Bis zuletzt hatte ihn ein leichtes Unbehagen durchströmt, doch nun begann es sich zu verflüchtigen. Er stürmte vor und schlang überschwänglich die Arme um den so sehr Vermissten. Er war aus Fleisch und Blut, kein Zweifel!
Von dem Tag an lebte er mehr auf Iisboa als auf seiner Heimatinsel. Er war der glücklichste Mensch, auch wenn er sich manchmal fragte, wie das alles zugehen konnte. Oder wieso Biroo zu Lebzeiten Mardi hier getroffen hatte, er hingegen Biroo.
Wann immer er sich von dem Freund verabschiedete, um in sein eigentliches Zuhause zurückzukehren, rief Biroo ihm vom Strand aus launig zu: »Und gib gut auf meinen Kopf acht – den brauche ich noch!«
***
Iisboa, Januar 2526
Er erwachte, weil ihm kalt war. Und weil bleiches Morgenlicht sich zwischen den Spalt seiner Augen zwängte.
Vogler blinzelte, hob die Lider und richtete sich auf.
Das Feuer war erloschen.
Für ihn stand fest: Clarice hatte ihn durchschlafen lassen, weil er von Nachholbedarf und noch nicht wieder hergestellter Fitness geschwafelt hatte.
Verdammt. Das hatte er nicht gewollt.
»Clarice?«
Im Steinkreis war sie nicht. Und sitzend konnte er nicht über die Felsbrocken hinwegblicken. Einige Muskeln und Sehnen zwickten, als er, schneller als es ratsam war, aufsprang.
Das Meer markierte die Grenze zur einen Seite, der Waldstreifen die zur anderen. Aber am ganzen Uferverlauf war keine Spur von Clarice zu entdecken.
Vogler fluchte leise. Da stimmt was nicht! Sein Blick wanderte zu der Stelle, an der Clarice gesessen hatte, als sie ihm eine gute Nacht gewünscht hatte. Der Holzvorrat daneben war sichtlich geschmolzen. Das hieß, dass sie durchaus ihrer Pflicht nachgekommen war, das Feuer in Gang zu halten.
Eine Zeitlang zumindest.
Vogler konnte nicht abschätzen, wie lange genau und wann sie damit aufgehört hatte. Aber da sie nicht einfach selbst eingenickt war und innerhalb des windgeschützten Bereichs lag, war zu befürchten, dass etwas Schwerwiegenderes dahintersteckte. Zumal sie auch auf mehrmaliges Rufen nicht reagierte.
Als marsianischer Waldbewohner im Spurenlesen geübt, besah sich Vogler die Umgebung des Lagers näher. Obwohl er sich überstürztes Handeln verbot, lag es für ihn auf der Hand, dass das seltsame Wesen hinter dem Verschwinden von Clarice stecken musste.
Er wagte kaum, sich auszumalen, was das bedeutete. Sie hatten keine Messlatte, an der sich die Gefährlichkeit der unheimlichen Kreatur ablesen ließ. Ihnen gegenüber war sie äußerst freundlich aufgetreten. Aber es lag nahe, dass dies zu ihrer Maskerade gehört hatte. Und wenn sie – gab es daran überhaupt noch einen Zweifel? –Clarice verschleppt hatte… was war das genaue Motiv dafür?
Vogler fiel kaum ein harmloser Grund für eine solche Tat ein, dafür umso mehr beunruhigende Erklärungen. Die simpelste und zugleich erschreckendste lautete: Das Wesen hatte Hunger. Und es hatte sich seine Beute geschnappt, um sie sich einzuverleiben. Falls das zutraf, war Clarice wahrscheinlich schon nicht mehr am Leben.
Hinter dem Steinwall fand Vogler Fußstapfen, die er dem Fremden zuordnete. Sie waren einmal – vermutlich auf dem Herweg – ziemlich schwach ausgeprägt und drückten sich ein anderes Mal – als er sich mit seiner Beute entfernte – viel tiefer ein. Hinweise auf vergossenes Blut fand Vogler jedoch nicht. Demnach konnte Clarice auch lediglich bewusstlos geschlagen und entführt worden sein. Sicher war nur eins: Sie musste überrascht worden sein und keine Gelegenheit mehr bekommen haben, Alarm zu schlagen. Und wenn das jemandem wie Clarice passierte, war ein Höchstmaß an Vorsicht geboten.
Vogler wollte seinen Gegner keinesfalls unterschätzen.
»Noch einmal legst du mich nicht rein!«, schwor er sich.
Und drang in den Wald vor.
Er war fest entschlossen, die Höhle des Wesens, das sie genarrt hatte, zu finden. Aber er durfte nicht ausschließen, dass es genau das wollte . Clarice mochte nur der Köder sein – mit dem es sich die Mühe ersparte, sich auch noch ihn selbst holen zu müssen.
***
Zur gleichen Zeit, tausend Paddelschläge entfernt Das Rauschgift, das in ihren Blutbahnen zirkulierte, verwandelte die See in ein absurdes Terrain. Obwohl kaum ein Lüftchen wehte und die Wellen einen fast gleichförmigen, bewegungsarmen Wasserteppich woben, folgten in der Vorstellung der Stammesmitglieder wallende Nebelgeister und tückische Schemen unter der
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