260 - Fly me to the moon
Wasseroberflä-
che ihren Einbäumen.
Aber das waren Nebenwirkungen, die sie in Kauf nahmen. Um der weit größeren Gefahr begegnen zu können, die sie ausmerzen mussten, ein für alle Mal. Weil ihr Stamm daran zugrunde ging.
Weil die Männer, die dem Zauber einmal verfallen waren, an kaum noch etwas anderes denken konnten, als ihm wieder und wieder und wieder zu folgen, ohne zu erkennen, dass sie dabei ihre für die Gemeinschaft existentiell wichtigen Pflichten vernachlässigten.
Bis Jor sich der Sache angenommen hatte, ihr Schamane und Stammesführer. Er begleitete eine Jagdgruppe, die zur Nachbarinsel ausgefahren war, um dort die Vorräte für das Dorf aufzufrischen. Tiere zu jagen, die dort in rauen Mengen vorzukommen schienen, während die eigene Insel fast leer gejagt war. Jor hatte sogar schon den kompletten Umzug nach Iisboa, wie die Ahnen die etwas größere Nachbarinsel getauft hatten, erwogen – doch vorher musste das dort wohnende Übel beseitigt werden. Der Teufel mit den vielen Fratzen, eine begehrenswerter als die andere…
Jor war als Einziger der Sieben, von denen jeder ein eigenes Boot lenkte, den Permarausch gewohnt. Von Jugend an hatte er die Gifte, die schon sein Vater mischte, an sich erprobt und schließlich das Schamanenamt und damit die Stammesführung übernommen, als sein Vater einer Meringo-Muräne zum Opfer fiel. O ja, nicht alle Schemen, die unter der Wasseroberfläche huschten, entsprangen tatsächlich dem Sud, den Jor den Jägern vor ihren Zügen verabreichte und den er selbst wie Medizin einnahm.
Jor hatte bewusst jene als Begleiter gewählt, die dem Biest bereits verfallen waren und für die größte Unruhe im Dorf sorgten. Vor ihrem Aufbruch hatte er sie in zwei Tagen und Nächten auf die Notwendigkeit eingeschworen, der schrecklichen Versuchung abzuschwören, die bislang nur Jor selbst als das gesehen hatte, was sie in Wirklichkeit war: ein Dämon, der sich Orguudoos Zauber zunutze machte, um arglose Opfer in seinen Bann zu ziehen.
Doch der Dämon hatte die Rechnung ohne ihn gemacht. Weil der Schamane seine eigenen Geister und Illusionen mit sich herumtrug und so gegen das gefeit sein würde, was der Dämon ihm vorzugaukeln versuchte.
Vor ihnen tauchte der Küstensaum der Insel auf, die ein Paradies hätte sein können – wäre sie nicht von etwas bewohnt, das der Unterwelt entschlüpft sein musste.
Jor erteilte, wie während der gesamten Überfahrt, auch jetzt immer wieder scharfe Befehle, die in die berauschten Geister seiner Krieger Einlass fanden. Gemeinsam steuerten sie das Ufer an jener Stelle an, wo alle bisherigen Jagdzüge angelegt hatten.
Das Wild, das sie heute erlegen wollten, nein: mussten , unterschied sich völlig von den Katzen, Wildhunden, Beuteltieren oder Großvögeln, mit denen sie es sonst zu tun hatten.
Dementsprechend hatte Jor seinen Jagdtrupp ausgerüstet. Die Speerspitzen waren über dem Feuer präpariert worden. Das Giftharz, das sie überzog und selbst eine Meringo-Muräne binnen weniger Herzschläge tötete, war als krustige Patina zu erkennen, die im Licht der aufgehenden Sonne in falscher bernsteinfarbener Schönheit leuchtete.
Die Boote schrammten in den weichen Sand des Strandes und kamen nebeneinander zum Stillstand. Jor sprang als Erster hinaus und baute sich vor seinen Kriegern auf. Leise, aber eindringlich, in der kehligen Stammessprache, erteilte er noch einmal die wichtigsten Instruktionen.
Dann übernahm er die Spitze seiner kleinen Armee und hetzte auf nackten Sohlen dem Dschungel entgegen, in dem das verführerische Böse hauste.
5.
Der höchste Baum der Umgebung… Clarice Braxtons Entführer hatte ihn als Richtungsweiser genannt. Darauf, ob dem zu trauen war, hätte Vogler nicht wetten wollen. Aber auch die Spuren, die das Wesen hinterlassen hatte, wiesen in etwa dorthin.
Der Marsgeborene hielt den Schockstab schussbereit in der Rechten. Die Waffe beruhigte jedoch kaum seine Nerven. Er hatte es mit einer unbekannten Kreatur zu tun. Diese Lebensform hatte nach Stand der Dinge heimtückisch ihre Freundschaft zu erschleichen versucht, und als das nicht fruchtete, ihr wahres Gesicht gezeigt.
Vogler machte sich Vorwürfe, nicht die erste Wache übernommen zu haben. Aber hätte das etwas geändert? Vielleicht hätte ihr Gegner einfach abgewartet, bis Clarice ihn ablöste… oder es wäre ihm völlig egal gewesen, wen er sich zuerst holte.
Vogler spürte wachsendes Unbehagen. Eine Situation wie diese hatte er noch niemals
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