264 - Verschollen
Katakomben. Warum jemand untertauchen wollte, interessierte sie dabei nicht. Hauptsache er bezahlte und machte keinen Ärger. Fletscher hatte für sich und die Kleine mit einem Säckchen Kupfernuggets und ein paar Flaschen selbstgebrannten Gin bezahlt. Für ihn ein kleines Vermögen. Für die Scones nicht mehr als Peanuts.
Seufzend lehnte sich Robin Fletscher zurück. Zu seiner Überraschung genoss er die Frische des Wassers. Vielleicht sollte er sich später doch noch eine Rasur gönnen. Er schloss die Augen und lauschte den Stimmen am Tisch. Inzwischen unterhielten sich die beiden Männer über die Schutzsuchenden, die hier immer noch täglich eintrafen. Der Gewinn für deren Unterbringung war beträchtlich. Dennoch fragte sich Lancer, ob was dran wäre an den Gerüchten von Dämonen und Versteinerten.
»Nie und nimmer«, entgegnete der Anführer der Scones. »Keiner der Leute hat diese Versteinerten mit eigenen Augen gesehen. Alle, die ich befragt habe, hörten nur davon!« Plötzlich richtete er das Wort an Fletscher: »Du kommst doch öfter nach Corkaich. Hast du dort Dämonen oder Versteinerte gesehen?«
»Blödsinn.« Mehr sagte der Mann aus Leeds nicht. Er hatte den Scones bisher nichts von den Vorfällen im Dorf erzählt und würde auch weiterhin seinen Mund halten. Er und die Kleine durften nicht auffallen. Jetzt, wo all die Leute aus dem Umland von Corkaich hier waren, würde nach ihrer Rückkehr in die Dörfer nur allzu schnell bekannt werden, dass sich in Blarney Castle ein Mann mit einem überlebenden Kind aus Corkaich aufhielt. Das wiederum könnte diesen verfluchten Blondschopf auf den Plan rufen.
Bei dem Gedanken an Jennys vermeintlichen Liebhaber verging ihm die Lust am Baden. Schmallippig stieg er aus dem Becken und rieb sich mit dem Handtuch trocken. Dann ließ er sich nieder und begann seine Fingernägel zu bearbeiten. Eigentlich wollte Fletscher mit der Kleinen nur den Winter über hier bleiben und dann in seine Höhle zurückkehren. Er hoffte, dass der Blondschopf bis dahin wieder verschwunden war. Doch was, wenn der Kerl nicht aufgab und seine Suche nach Ann fortsetzte?
Nicht zum ersten Mal in den vergangenen Tagen überlegte Robin Fletscher, ob es nicht besser wäre, die Gegend ganz zu verlassen. Er hatte sogar schon daran gedacht, nach Leeds zurückzukehren. Bei dem Gedanken an die gewaltige Entfernung hatte er diese Idee aber gleich wieder verworfen.
Während er noch mit sorgenvoller Miene seine Nagelpflege beendete und sich die frischen Kleider überstreifte, ahnte er nicht, dass es ausgerechnet Traver und der bullige Lancer sein würden, die diese Idee wieder aufflammen ließen.
***
23. Dezember, im Hinterland von Cill Airne
Im Hause O'Donel herrschte betriebsame Geschäftigkeit. Gemeinsam mit ihren Schwestern und Schwägerinnen bereitete die alte Martha den Teig für die Mine Pie vor. Die Freude über den Besuch, der am Nachmittag eingetroffen war und fast eine Woche bleiben würde, war ihr anzusehen. Ihre Wangen glühten und die Augen strahlten, während sie mit den Frauen scherzte und lachte oder ihrem halben Dutzend Nichten und Neffen Süßigkeiten zusteckte. Hin und wieder glitt ihr Blick hinüber zum Kamin, vor dem die Männer sich niedergelassen hatten. »Braucht ihr noch was?«
»Nein danke, Mum. Wenn es so weit ist, sorge ich schon für Nachschub!« Vergnügt beobachtete Ryaan, wie seine Mutter ihm zuzwinkerte. Seit seiner Ankunft gestern war sie ganz aus dem Häuschen. Was sie wohl zu dem Kleid sagen würde, das er ihr zum festlichen Anlass mitgebracht hatte? Sheere McGillen, die Kommandantin von Luimneachs Bunker, war ihm bei der Auswahl des Kleides behilflich gewesen.
»Hörst du überhaupt noch zu, Junge?«, unterbrach Onkel Davie seine Gedanken. »Was hältst du also von der Sache?«
Entschuldigend wandte sich Ryaan wieder der Männerrunde zu. Die drei Schwager seiner Mutter und die beiden Brüder seines Vaters redeten schon seit Stunden über die unheimlichen Bestien, die seit Tagen die Gegend unsicher machten. Wie immer beteiligte sich sein Vater eher wortkarg an dem Gespräch. Obwohl die vermeintlichen Bestien ja als Erstes auf seiner Farm aufgetaucht waren. Scheinbar unbeteiligt saß der weißhaarige Mann ihm gegenüber und paffte kleine Rauchwolken in die Luft.
»Tja, was soll ich sagen…« Ryaan räusperte sich. »Es sind nicht die hier üblichen Raubtiere, mächtig groß, mit glühenden Augen…«
»Und sie reißen Schafe«, ergänzte der alte Niall die
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